Mitte November sah ich eine Reportage auf Servus TV „Schulverweigerer – Widerstand gegen das System“, welche mich nachdenklich machte und veranlasste, diesen Beitrag zu schreiben. Nachdem ich zwei Freundinnen kenne, die beide zuhause unterrichtet wurden, musste ich einen ständigen Vergleich ziehen. Dabei kam ich zu dem Entschluss, dass viele verschiedene Ansichten zu diesem Thema in unserer Gesellschaft existieren. Doch viele wissen nur wenig über dieses Konzept Bescheid.
FAKT IST:
Mehr als 7.500 Kinder werden heuer von zu Hause unterrichtet. In Oberösterreich hat sich die Anzahl beispielsweise bereits verfünffacht und in Salzburg vervierfacht. Natürlich hat die Corona Pandemie dazu beigetragen, die Schulabmeldungen deutlich ansteigen zu lassen. Dabei darf jedoch nicht auf den Unterschied zwischen Distance – learning und Home – Schooling vergessen werden.
DISTANCE – LEARNING:
Es geben die Lehrer/innen den Kindern (viel zu viele) Aufgaben auf. Die Anforderungen sind sehr unterschiedlich und abhängig von Schule und Lehrkraft. Meist bekommen die Kinder jeden Tag einen neuen Inhalt vermittelt, welchen sie sich selbst beibringen müssen. Oder es wird eine Videokonferenz angesetzt, bei dem jede Schülerin und jeder Schüler zuhause vor dem Computer sitzt. Dabei geht viel nonverbale Kommunikation verloren. An manchen Tagen sitzen die Kinder von der Früh bis zur letzten Einheit am Nachmittag vor dem Computer. Die Betonung liegt dabei auf Sitzen. Dadurch geht der Schulweg (meist die einzige Bewegung des Tages) als wichtiges Ritual zum Ankommen verloren.
Von Albert Mehrabian stammt eine bekannte Studie zum Thema Nonverbale Kommunikation. Wir kommunizieren zu 55% mit unserer Körpersprache, welche bei Videokonferenzen fast zur Gänze verloren geht und die Lehrerin oder der Lehrer unmöglich durch die Kamera erkennen kann. 38% macht dabei unsere Stimme aus und nur 7% die eigentlichen Wörter, die wir benutzen.
HOME – SCHOOLING:
Oder auch Heimunterricht, häuslicher Unterricht, Hausunterricht, Privatunterricht, Entschulung, home based learning genannt. Hier werden die Kinder am Anfang des Schuljahres von der Schule abgemeldet. In Österreich gilt laut dem RIS – Schulpflichtgesetz 1985: „Die allgemeine Schulpflicht kann – unbeschadet des § 12 – auch durch die Teilnahme am Unterricht an einer Privatschule ohne Öffentlichkeitsrecht erfüllt werden, sofern der Unterricht jenem an einer im § 5 genannten Schule mindestens gleichwertig ist.“ Dies bedeutet, dass die Schulpflicht erfüllt werden kann, wenn das Kind nicht in die Schule geht. Dafür ist allerdings eine Externistenprüfung am Ende jedes Schuljahres abzulegen. Wird diese Prüfung nicht/negativ absolviert, muss die Schülerin oder der Schüler wieder zur Schule gehen und darf nicht mehr von zuhause aus unterrichtet werden. Die Freiheit ein selbstbestimmtes Leben im Kreise der Familie zu führen, ohne Auflagen des Staates, ohne Diskriminierung und ohne Beschränkungen veranlasst immer mehr Familien in Österreich ihre Kinder von der Schule abzumelden. Als Eltern braucht man keine speziellen Kenntnisse oder eigene Ausbildung, um sein eigenes Kind zuhause unterrichten zu können. Das Material und Schulbücher bekommt man meist kostenlos von der zuständigen Schule zur Verfügung gestellt. Falls es dazu kommt, dass das Kind wieder zur Schule gehen möchte, oder es aus anderen Gründen besser für das Kind ist, so ist es jederzeit möglich wieder einzusteigen.
WARUM WERDEN KINDER VON DER SCHULE ABGEMELDET?
Oft sind es Gründe wie, psychischer Druck, Unterrichtsmethoden, Lehrkräfte, Mobbing, Lerndruck, das gesamte Schulsystem, Zwang oder Ängste, die den Kindern das Zur – Schule – gehen schwer machen. In solchen Fällen reagieren manche Familien so, dass sie eine Lerngemeinschaft organisieren. Diese Entscheidung kann nicht von heute auf morgen getroffen werden. Es ist ein Verlauf, der beobachtet werden muss und einige Wochen Zeit braucht, um einen Umstieg zu ermöglichen. Es ist vor allem zu beachten, dass die Entscheidung, ob das Kind in der Schule bleibt, oder privat unterrichtet wird, gemeinsam mit Absprache aller Beteiligten getroffen wird. Die Eltern dürfen diese Entscheidung nicht über ihr Kind hinweg treffen. In diesem Fall würde der Heimunterricht nicht funktionieren.
Viele Eltern bilden in der Nachbarschaft eine Lerngruppe und können, den Kindern eine optimale Lernbegleitung bieten. Durch die verschiedenen Interessen und Kompetenzen der Eltern werden viele Bereiche abgedeckt. Zusätzlich können Experten hinzugezogen werden, wenn dies notwendig ist. Eltern wollen ihre Kinder beim Lernen begleiten, ohne Zwang und ohne Prüfung. Dabei legen sie großen Wert auf freies und selbstbestimmtes Lernen. Unter der Website https://www.freilerner.at/freilernen-ist/was-ist-freilernen/ finden Sie mehr dazu.
KRITIK:
Kritiker meinen, dass die Schule mehr als nur Unterricht sei, und trägt wesentlich zur sozialen Entwicklung bei. Kinder brauchen Gleichaltrige und die Gemeinschaft in der Schule. Außerdem ist die Schule nicht nur ein Ort der Wissensvermittlung, sondern auch ein Ort, an dem sehr viel Soziales und Interaktion stattfinden. Hier lernen die Kinder die Regeln für das Zusammenleben in einer Gesellschaft. Sie lernen Konflikte entsprechend auszutragen, werden durch Pädagoginnen und Pädagogen begleitet, die entsprechend ausgebildet sind. Denn die wenigsten Eltern sind dies. Das Schulkind braucht zuhause immer einen Ansprechpartner, welcher dem Kind in den Lernphasen beisteht. Außerdem muss sich diese Person auch in den Lerninhalten auskennen und mögliche Fragen beantworten können. Doch die meisten Eltern arbeiten tagsüber. Daher ist es notwendig, dass ein Elternteil zuhause bleibt, im Home – Office arbeitet, oder einen sehr flexiblen Job hat. Meist ist dies mit beachtlichen finanziellen Kosten verbunden. Dazu kommt auch noch der enorme Zeitaufwand, der für Vorbereitungen/Organisation/Unterricht und die Suche nach geeignetem Material zusätzlich anfällt. Weiters fehlen das soziale Lernen und eine positive Gruppendynamik. Oft profitieren die Kinder von Fragen anderer Klassenkameradinnen oder Kameraden, dies fällt auch weg. Der wohl am heftigsten kritisierter Punkt ist das „geschützte Umfeld“. Die Kinder werden nicht „auf das Leben außerhalb“ des häuslichen Umfeldes vorbereitet. Man hat ständig damit zu kämpfen sich gegen diese Aussagen und den „Sonderstatus“ zu rechtfertigen.
Zudem gibt es oft Schwierigkeiten bei dem Übertritt in die weiterführende Schule. Der Unterrichtsstoff wird mit jedem Schuljahr anspruchsvoller und für die Eltern immer schwieriger, ihr Kind dabei zu begleiten. Nicht ohne Grund gibt es in der Volkschule für die meisten Fächer die gleiche Lehrkraft und in den Hauptschulen bzw. Oberstufen für jedes Fach eine eigene Fachkraft, die als Lehrerin oder Lehrer die Schülerinnen und Schüler unterrichtet. All diese Fächer kann eine einzelne Person nicht abdecken.
BEFÜRWORTER:
Andererseits muss auch die Seite beleuchtet werden, bei der die Kinder problemlos den Anschluss wieder zurück in die Schule finden. Viele Kinder kommen aus der Volksschule in eine Unterstufe, in der sie sich anfangs noch wohlfühlen. Doch nach den ersten Wochen, Monaten häufen sich die Probleme. Das betroffene Kind fühlt sich nicht verstanden und die Lehrkräfte gehen nicht darauf ein, das gesamte Schulsystem und der Druck dahinter überfordern das Kind. Vielleicht wird es auch noch von einigen Mitschülerinnen oder Mitschülern gehänselt. Anfangs überlegt man das Kind in eine andere Schule zu geben, oder hat dies möglicherweise auch schon versucht, doch es tun sich erneut Probleme auf, die sich negativ auf die Psyche und Entwicklung des Kindes auswirken. Diese Situation wünscht sich Keiner, doch zum Glück gibt es die Möglichkeit in Österreich, das Kind zuhause, fern von Druck und Ängste lernen zu lassen. Die Kinder können die Schwerpunkte selbst auswählen, die sie vertiefen möchten und können sich die Lernzeit flexibel einplanen (Tageszeit & Ferienzeit). Das Lernen ist ganzheitlich und passiert den ganzen Tag über und wird in ihr Leben miteinbezogen. Zum Beispiel die Vokabeln in einer Fremdsprache können während eines Spazierganges draußen gelernt werden, indem alle Gegenstände rund herum benannt werden.
Mit dem Umstieg von der Schule auf zuhause hatten zum Beispiel meine Freundinnen keine Probleme und gewohnten die andere Atmosphäre schnell. Nach einigen Jahren im Hausunterricht schafften sie auch problemlos wieder den Einstieg in die Oberstufe und Beide haben die Schule mit Matura erfolgreich abgeschlossen. Dieses Beispiel zeigt, dass es für manche Menschen eine sehr gute Chance bietet. Denn ohne Heimunterricht hätten sie wohl nie einen solch hohen Abschluss geschafft.
FAZIT:
Nach meiner persönlichen Einschätzung nach kommt es sehr auf das Kind bzw. deren Lerntyp drauf an, ob Home-Schooling erfolgreich durchgeführt werden kann. Anfangs stell ich es mir sehr gewöhnungsbedürftig vor, um sich auf die veränderte Umgebung und Art von Lernen einzustellen. Doch ich denke, dass vor allem junge Menschen sich darauf gut einlassen können. Es ist gut, dass es diese Möglichkeit gibt. Wer sie annimmt, muss sich auf viel Neues einlassen können und auf manches verzichten. Doch es bleibt eine geniale Alternative zur gewohnten Schulform. Ob dieses Angebot angenommen wird, oder wie die meisten Kinder „ganz normal“ in die Schule geht, bleibt jedem frei überlassen. Keiner wird/soll zu ein und der richtigen Unterrichtsform gezwungen werden.
Die Reportage löste in mir ein großes Interesse aus. Durch die nachfolgenden Recherchen und Befragungen mit Menschen, die mit Heimunterricht Erfahrungen haben, entwickelte sich mein Interesse für dieses Thema immer weiter. Letztendlich zog ich den Entschluss, dass ich weiterhin die Akzeptanz von Hausunterricht in der Gesellschaft beobachte und Menschen, die dagegen sind, davon überzeuge, warum es für viele Kinder eine perfekte Chance im Leben bietet. Denn diese jungen Menschen haben genauso das Recht auf Bildung und trotz Fernbleiben der Schule einen gleichwertigen Status verdient.
Ebenso kann ich es vollkommen nachvollziehen, warum viele Menschen es als keine gute Idee ansehen, dass Kinder nicht zur Schule gehen müssen. Der Hausunterricht kann nicht die Schule ersetzen und kann auch niemals damit verglichen werden, weil diese zwei Arten von Lernen und Vermittlung von Bildung zu verschieden sind.
QUELLEN:
- https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10009576
- https://mumacademy.at/homeschooling-in-oesterreich-daten-links-fakten/
- Reportage „Schulverweigerer – Widerstand gegen das System“ (von 18. Nov | 47:00min bei Servus TV)
Schule ist unersetzbar
(Michaela Rudinger)
Als meine Zwillinge kurz vor der Schuleinschreibung standen, fragte mich der Kinderarzt, ob ich vorhabe meine Kinder selbst zu unterrichten. Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich mich mit häuslichem Unterricht nicht beschäftigt. Nach reichlicher Überlegung kam ich für mich zum Schluss: Schule ist mehr als reiner Unterricht. In der Volksschule lernen Kinder nicht nur lesen, rechnen und schreiben, sondern werden auch erzogen das Leben selbständig zu meistern. Sie lernen die Regeln des Zusammenlebens und der Gesellschaft und müssen Konflikte selbst lösen. Schule trägt einen wertvollen Teil zur Entwicklung der Persönlichkeit bei. Als nun meine Kinder die Erste Klasse Volksschule besuchten, wurde die Welt vor eine neue Herausforderung gestellt. Covid 19 führte zu einem zurückfahren des gesellschaftlichen Lebens, Lockdown und Homeschooling. Durch die Pandemie lernte ich nun auch den Heimunterricht kennen. Es war für mich keine Schwierigkeit meinen Kindern den Lerninhalt der ersten und mittlerweile der zweiten Klasse Volksschule zu vermitteln. Die Schulbücher sind spannend aufgebaut und der Lernerfolg bei der Betreuung von nur zwei Kindern stellte sich sehr rasch ein. Tatsächlich macht mir das Unterrichten sogar Spaß. Wir benötigten nicht sehr viel Zeit für das tägliche Lernen und das Familienleben profitierte daraus. Bei allen Vorteilen für meine Familie und ich kann natürlich nur für meine Familie sprechen, kann der Heimunterricht meiner Meinung nach, die Schule nie ersetzten. Im Klassenverband lernen die Kinder Dinge, die ich ihnen zuhause nie ermöglichen kann. Ich möchte meine Auffassung mit ein paar kleinen Beispielen untermauern: In den ersten Schulwochen, blieben fast täglich Handschuhe, eine Haube oder später dann die Maske auf der Garderobe liegen, obwohl sie am nächsten Tag wieder gebraucht wurden. Doch nach kürzester Zeit begannen die Kinder sich selbst zu organisieren und hatten alle Sachen am Nachhauseweg in der Schultasche verstaut. Wenn ich meine Söhne nach Ihrem Tag fragte, erzählten Sie zuerst vom Schulweg und von den Kindern, die sie dort kennengelernt hatten. Sie entwickelten selbstständig ein soziales Netzwerk, auch außerhalb ihrer Klasse. Jeden Montag spricht die Lehrerin mit den Kindern im Sitzkreis über ihr Wochenende. Jedes Kind erzählt etwas vor den ganzen Klassen. Sie lernen schon früh vor anderen Menschen zu sprechen und entwickeln ein starkes Selbstbewusstsein. Bereits in der ersten Klasse hielten meine Söhne ein Referat über ihre Lieblingsportart. Die Schule prägt die Persönlichkeit meiner Kinder auf eine wundervolle Art und Weise. Und auch wenn ich die Zeit im Homeschooling auch genieße, freu ich mich, wenn sie die Schule wieder besuchen dürfen.
So ist es! Einfach wunderbar, was da passiert. Es ist ein Privileg liebevoll sorgende Eltern zu haben, die reflektiert und mit Ernsthaftigkeit diese Aufgabe erfüllen 🙂
Ein guter Überblick!