Verfasserin: Denise Zacherl
Mut zur Veränderung oder Kapitulation
Nachdem ich im Rahmen einer Lehrveranstaltung das Kapitel „Chancenlos von Anfang an. Bildungsalltag vom Kindergarten bis zur Matura.“ aus dem Buch „Generation haram: Warum Schule lernen muss, allen eine Stimme zu geben“ von Melisa Erkurt gelesen habe, ist mir wieder einmal bewusst geworden, wie unsere heutige Gesellschaft funktioniert. Der Wert der eigenen Persönlichkeit, der individuellen Talente sowie Gefühle rückt immer mehr in den Hintergrund. Wenn man ein Mitglied der Gesellschaft werden will, muss man eine bestimmte Norm erfüllen. Und dies fängt schon früh an. Alles was anders ist, wird mittlerweile als „ohnehin hoffnungslos“ gewertet und die individuelle Persönlichkeit nicht mehr berücksichtigt.
Wenn ich als angehende Lehrperson nun über meine Zukunft nachdenke, habe ich großes Bedenken. Ich möchte jedem Kind die gleichen Voraussetzungen mitgeben, jeden individuell fördern sodass sie sich persönlich weiterentwickeln können und ihnen auch bei ihren alltäglichen Problemen behilflich sein. Ich sehe meine Aufgabe darin, jedem die gleiche Chance zu geben, das Ziel zu erreichen, auch wenn dies sehr schwer ist. Die meisten Lehrpersonen scheitern leider exakt an dieser Aufgabe, obwohl dies einer der wichtigsten Punkte in der Entwicklung der Kinder darstellt.
Doch wieso ist genau das so schwer? Weshalb bekommt nicht jeder die gleichen Chancen? Auch Erkurt hat sich in ihrem Buch diese Frage gestellt, kam dabei jedoch auf keine einheitliche Antwort. Eine Begründung auf das „wieso“ lässt sich oftmals auf den Sprachgebrauch zurückführen. Viele Kinder mit Migrationshintergrund beherrschen die deutsche Sprache nicht, selbst die Muttersprache wird nur brüchig gesprochen. Aufgrund dieses Sprachdefizits ist es speziell für solche Kinder überaus schwer, etwas zu lernen. Sie verstehen die Erklärung der Lehrer/innen nicht, die Aufgabenstellungen sowie ihre Mitschüler/innen – sie sind schlicht chancenlos. Die Schule wird buchstäblich ein Ort des Unbehagens, der Ausgrenzung. Dass dieses massive Problem der österreichischen Schulen behoben werden muss, ist selbstverständlich. Aber wie soll dies geschehen? Wer soll sich damit auseinandersetzen?
Die heutige Gesellschaft erwartet, dass eine pädagogisch ausgebildete Lehrperson in der Lage ist, ein Kind zu unterrichten, ganz egal welche Voraussetzungen es von zu Hause in den Unterricht mitgebracht hat. Ob es nun die Unterrichtssprache beherrscht oder die gesellschaftlichen Normen kennt, wird nicht beachtet. Denn dies muss ohnehin von einer Lehrperson ausgeglichen werden. Dadurch wird ein/r Lehrerin nicht nur vor eine große, fast unmögliche Aufgabe gestellt, sondern wird dem eigentlichen Beruf „Lehrer“ nicht mehr gerecht. Eine Lehrer/in müsste sich eigentlich voll und ganz auf das Lehren konzentrieren, die Ausbildung der Schüler/innen ganz klar in den Mittelpunkt stellen. Doch dies ist heutzutage nicht immer möglich, da die Voraussetzungen in den Schulklassen nicht mehr gegeben sind. Häufig kümmern sich die Eltern zu wenig, vermitteln keine gesellschaftlichen Regeln und reden nur in der jeweiligen Muttersprache oder überhaupt nur selten mit ihren Kindern, sodass der deutsche Sprachgebrauch für die Betroffenen schlicht fremd erscheint. Speziell jene Faktoren sollten von den Eltern erfüllt werden, nicht etwa von einer Lehrkraft. Doch in der Realität ist dies genau der Fall. Lehrpersonen stehen Tag für Tag vor der Herausforderung, allen Kindern in der Klasse gerecht zu werden, ob diese nun die Unterrichtssprache beherrschen oder sich an die Regeln halten. Sie versuchen ihr Bestes, scheitern jedoch täglich. Jedem Schulkind individuell gerecht zu werden, ist eine Sache der Unmöglichkeit. Dies betrifft jedoch nicht nur Lehrer/innen der Primar- oder Sekundarstufe, sondern vor allem auch Pädagogen/innen im Kindergarten. Besonders in diesem Alter ist die individuelle Entwicklung für ein Kind äußerst wichtig.
Was kann also nun dagegen unternommen werden? Wie kann man diese Chancen-Ungleichheit im österreichischen Schulsystem vorbeugen? Meiner Meinung nach sollte die „schulische“ Erziehung bereits sehr früh beginnen, dass genau jenes, was zu Hause fehlt, früh ausgeglichen werden kann. Die Grundvoraussetzung wäre hierfür ein 2. verpflichtendes Kindergartenjahr, ebenso wie kleinere Gruppen und mindestens zwei Pädagogen/innen pro Kindergartengruppe, um jedem Kinde genug Zeit sowie Raum zur Verfügung zu stellen. Nur auf diese Weise kann auf die individuellen Bedürfnisse jedes Kind eingegangen werden und somit bereits zu Schulbeginn eine Chancengleichheit für die Bildung bestehen.
Weiter wäre es dem österreichischen Bildungssystem zu wünschen, auch in jeder Volksschulklasse zwei Lehrkräfte einzusetzen. Zusätzlich sollte in jeder Bildungseinrichtung mindestens eine psychologische Anlaufstelle zur Betreuung der Schüler und Schülerinnen und auch, wenn gewünscht, den Lehrpersonen oder sogar den Eltern zur Verfügung stehen. Neben dem oben genannten würde ich die Idee der Ganztagesschule befürworten. Auf diese Weise erhalten all jene Schüler und Schülerinnen, die es brauchen, eine zusätzlich gezielte Förderung. Nicht nur auf die schulischen Aufgaben bezogen, sondern auch auf die Integration durch gemeinsame Sport- oder Spielangebote, Spaß und Kommunikation am Nachmittag.
Denn der wichtigste Aspekt in den eben aufgezählten Punkten bildet die vollständige Integration der Migrantenkinder. Denn Chancengleichheit beruht nicht immer nur auf das gleiche Bildungsangebot, sondern speziell auch auf das gemeinschaftliche Leben. In unserer Gesellschaft kommt es mitunter häufig vor, Menschen anhand gewisser „Stereotypen“ zu beurteilen. Sie sortieren Menschen anhand ihrer Herkunft und Religion aus, ohne die eigentliche Person überhaupt anzusehen. Sie bestimmen, wer dazugehören darf und wer nicht. Und diese Vorurteile haben ihren Ursprung eben leider schon in der Schule. Jedoch ist die Sprache Deutsch nicht der Schlüssel zum Erfolg. Die persönlichen Talente und Interessen stecken dahinter, nicht die Herkunft, die Muttersprache oder gar das Aussehen. Aus diesem Grund würde ich mehr Integrationskurse für Schüler und Schülerinnen fordern. Nicht nur, um den davon betroffenen Kindern besser Deutsch zu lernen, sondern auch, dass den österreichischen Kindern von Anfang an bewusst gemacht wird, Menschen in keine Kategorien einzuordnen. Es wird ihnen dadurch vermittelt, dass jeder Mensch auf seine eigene individuelle Art und Weise einzigartig ist. Und genau das spricht für die Chancengleichheit! Jeder Mensch hat die gleichen Chancen verdient, ganz egal welche Voraussetzungen er mitgebracht hat. Je früher unsere Gesellschaft das lernt, desto besser funktioniert unser aller Miteinander.