“Führungstechniken sind überbewertet”

Menschenführung auf der Technikschiene ist frustrierend und unergiebig. Wenn Junge direkt aus dem Studium in Vorgesetztenfunktion kommen, dann gehe es darum, sich zu zeigen, sich zu stellen, sagt Führungsethiker Ferdinand Rohrhirsch.

Hartmut Volk


Die richtigen Führungstechniken, richtig angewandt, ergeben die richtige Führung? Wenn es denn so einfach wäre, sagt der Führungs- und Unternehmensethiker Ferdinand Rohrhirsch. So unbestritten notwendig es sei, sich mit Führungstechniken ein grundlegendes Handwerkszeug in Sachen Menschenführung anzueignen, so irrig sei aber auch die Vorstellung, sich allein aufgrund dieser Kenntnisse für eine wirkungsvolle Führungskraft zu halten. In ihrem Wesenskern sei Führung Überzeugungsarbeit. Überzeugende Führung beginne deshalb mit dem persönlich überzeugenden Auftritt. Rohrhirsch: "Verhalten ist wichtiger als Technik."

Die Überbewertung von Führungstechniken führt der Professor für Praktische Philosophie an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt mit auf den Umstand zurück, "dass junge Führungsverantwortliche heute in der Regel ein Studium absolviert haben und damit auf Wissenschaftlichkeit ausgerichtet sind". In der Konsequenz heiße das: Sie können mit Sachproblemen umgehen, aber mit Menschen umzugehen, das haben sie nicht gelernt. Und so werde naheliegenderweise auch die Menschenführung als Sachproblem angesehen und gehandhabt. "Und das wird weder den Bedürfnissen von Menschen gerecht noch von ihnen goutiert. Wer sieht sich schon gern als Apparat mit eingebauter Programmsteuerung behandelt?", sagt Rohrhirsch. Deshalb sei Menschenführung rein auf der Technikschiene für alle Beteiligten meist so frustrierend und unergiebig.

Dieses Problem sei nicht gänzlich unbekannt. Deshalb würde insbesondere in größeren Unternehmen eine gewisse Korrektur dieser Fehlorientierung in der Vorbereitung auf die Führungsposition vorgenommen. Nur handele es sich auch dabei wieder um eine auf die Sache "Führung" bezogene Schulung, in der trotz Themen wie: "Welche Mitarbeitertypen gibt es? Welcher Typ bin ich? Was ist der Unterschied von intrinsisch und extrinsisch?" die führungstechnische Seite des Geschehens im Vordergrund stehe. Auch die meist dazu gehörenden Rollenspiele mit Videoarbeit würden diese Akzentuierung nur bedingt in Richtung "Persönlichkeit" ergänzen. Wodurch es letztendlich doch bei dem Eindruck bliebe, Führung sei ein mit Techniken zu lösendes Unterfangen.

Von der Theorie …

Und so kämen die ambitionierten jungen Führungskräfte aus den geschützten Räumen der Theorie in die von vielfältigen Einflüssen geprägte Praxis und stellten im Umgang mit realen Situationen und Menschen fest: alles wie gelernt gemacht, dennoch gelingt Führung nicht wie erwartet und erhofft. Naheliegend für Rohrhirsch, "dass da der Gedanke im Kopf zu ticken beginnt: Also muss ich doch was falsch gemacht haben!" – und dieser Gedanke mache verständlicherweise schwer zu schaffen. Immerhin wollten und müssten sich die Jungen schließlich beweisen. Und aus diesem Wunsch und Drang heraus, weiß Rohrhirsch aus Coachings, komme ein zunächst beruhigender Gedanke: Vielleicht habe ich ja gar nichts falsch gemacht?! Vielleicht habe ich nur nicht das aktuellste Wissen gelernt!? Vielleicht muss ich nur neue, besser noch: allerneueste Erkenntnisse in neuen Seminaren suchen.

Das sei ein durchaus naheliegender, leider nur kein wirklich weiterführender Gedanke. Wer so denke und handle, hechele ständig hinterher. "Als ob je ein Meister durch sein Werkzeug zum Meister geworden wäre", bringt Rohrhirsch den zugrunde liegenden Irrtum auf den Punkt. Techniken seien hilfreiche Werkzeuge im Führungsgeschäft, "aber nie die letztlich bewegende Seele dieses schwierigen Unterfangens. Sie unterstützen eine Führungskraft, machen aber keine. Überzeugende, wirkungsvolle Führung gibt es nicht ohne den Mut, sich zu zeigen und sich zu stellen, anderen wie sich selbst."

… zu den "Untergebenen"

Erst mit dieser Bereitschaft, offen auf andere Menschen zuzugehen, die andere Meinung nicht geringer als die eigene einzustufen, sich mit kritischen Tönen seitens der "Untergebenen" ruhig und sachlich auseinanderzusetzen, werde eine tatsächliche Beziehungsebene geschaffen, auf der sich effiziente Zusammenarbeit entwickeln könne. "Techniken schirmen Menschen von Menschen ab, schließen sie nicht auf, setzen nicht die Kräfte frei, die tatsächlich in einem Menschen stecken. Techniken lassen Mitarbeiter funktionieren, verhindern aber, dass sie wirklich aus sich rausgehen, dass sie auch mit Mut zum Risiko zeigen, was in ihnen steckt", engagiert sich Rohrhirsch.

Darum sei es ein sich selbst, andere und die Sache schädigender Irrweg, sich als Führende/r hinter Führungstechniken zu verstecken. Führung bedeute, sich als Person sichtbar zu machen. Interessanterweise tauche in der Führungsdiskussion das Wort "Demut" plötzlich wieder auf. Bekanntlich stehe der Begriff auch für die Eigenschaft, sich nicht zu überschätzen und im Blick auf andere zu überhöhen. Das ist für Rohrhirsch, "die Eigenschaft, die eine Führungskraft in den Augen der Geführten zu einer Persönlichkeit macht, die sie akzeptieren, deren Führung sie folgen und der sie sich auch unterordnen. Nicht als Untergebene oder Unterlegene, sondern als Anerkennende und selbstbewusst Mitmachende."

In diesen Zusammenhängen sieht Rohrhirsch die eigentliche Quelle von Führungseffizienz. Deshalb laufe Führung als reine Technikarbeit so häufig ins Leere, deshalb sei sie so wenig inspirierend und Menschen in ihrem Inneren so wenig bewegend und damit weniger effizient, als sie es sein müsste.

Führung, solle sie im Sinne von Effizienz gelingen, sagt Rohrhirsch, "ist zu zielgerichtetem Tun gewordene Verhaltensqualität. Führungseffizienz ist sozusagen materialisierte Anerkennung. Gegenseitige Anerkennung. Aus der wechselseitigen Akzeptanz des anderen erwächst die Bereitschaft, sich auf ihn einzulassen und miteinander wirkungsvoll tätig zu werden." Komme dazu noch ein behutsam virtuoses Spiel auf der Klaviatur der Techniken, umso besser. Dieses Spiel allein aber sei nicht der Ton, der die Führungsmusik macht.

Zitat: Der Standard (2013 08 10/11), K8, "Führungstechniken sind überbewertet"

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