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Soziale Gerechtigkeit (?)

(Redaktionsgruppe B)

Soziale Ungleichheit in der Gesellschaft fängt schon im Klassenzimmer an. Warum wird so etwas erwünscht?

Da man leider davon ausgehen muss, dass sich das Schulsystem nicht so schnell verändern wird, gefällt uns der Gedanke Projekte wie „Schule fürs Leben“ flächendeckender ins Leben zu rufen. Der Austausch zwischen Jugendlichen verschiedener selektierter Gruppen und die vielen Dinge die man voneinander lernen kann wären für alle Seiten sehr bereichernd.

Wenn die Schule schon kein Abbild der Gesellschaft sein soll, so wäre es so wenigstens möglich die suggerierte Wahrnehmung der „Anderen“ zu verändern, Ängste vor dem Fremden abzubauen und so eine sozialere, verständnisvollere und rücksichtsvollere Gesellschaft der Zukunft zu bilden.

Um soziale Ungleichheit im Bildungssystem zu verringern, bedarf es einer Politik, die Freiräume schafft, in denen sich diejenigen, die Bildung gestalten, aktiv entfalten, Ideen einbringen und neue Wege gehen können.

Was ist aber eigentlich „Ungleichheit“? Es kann nicht das Ziel sein, allen die gleiche Ausbildung und denselben Abschluss zukommen zu lassen. Das wirkliche Ziel muss es sein, jedem Kind Chancengerechtigkeit zu gewährleisten. Nur mit dem Zusatz „Chancen-“ macht der Begriff der Gerechtigkeit hier letztlich Sinn. Jedes Kind in Österreich muss die Möglichkeit haben, seine Fähigkeiten zu entfalten, ohne dass dabei die soziale Herkunft auch nur die geringste Rolle spielt. Nur wer die Chance erhält, seine Fähigkeiten zu entdecken und zu lernen, diese sinnvoll zu nutzen, wächst mit der Gewissheit heran, wertvoll zu sein, vor allem auch wertvoll zu sein für die Gesellschaft. Nur diejenige Gesellschaft, die ihrem Nachwuchs ein Recht auf Chancengerechtigkeit gewährt, baut ihre Demokratie auf ein festes Fundament. Denn Bildung ist nicht nur die Voraussetzung für den Erwerb des Lebensunterhaltes, sondern auch für die Entfaltung der Persönlichkeit und die Fähigkeit als mündiger Bürger in der Gesellschaft teilzunehmen. 

Bereits vor über 100 Jahren sagte Max Weber, einer der drei Gründerväter der deutschen Soziologie: “Unterschiede in der Bildung sind heute (…) zweifellos der wichtigste ständebildende Unterschied (…). Unterschiede der Bildung sind – man mag das noch sehr bedauern – eine der allerstärksten rein innerlich wirkenden sozialen Schranken.” Eine Aussage, die, wie ich meine, auch heute noch zutreffend ist. In der Schule – und zwar bereits in der Volks- oder Grundschule – wird über die Bildungs- und auch teils berufliche Zukunft der Kinder entschieden. Ohne Abitur oder Matura wird man heutzutage von der Gesellschaft belächelt. Eine Entwicklung, die zu denken geben sollte. Sind denn Schüler oder Schülerinnen, die “nur” einen Mittelschulabschluss haben weniger wert? Leisten Sie nicht in ihrem späteren beruflichen Leben ebenso einen wichtigen und wertvollen Beitrag in unserer Gesellschaft?

Dieser Entwicklung entgegen zu wirken, müsste eigentlich eines der wichtigsten Ziele unserer Bildungspolitik sein. Sei es, dass man diejenigen, die vor Ort die Arbeit leisten in Entscheidungen miteinbezieht und ihren Aussagen mehr Gewicht verleiht, aber auch, dass man Kinder und Jugendliche aus schwächeren “Ständen” besser unterstützt. Sei es auf Ebene der Bildungsförderung und Forderung, aber auch dass man eine finanzielle Chancengleichheit für eben diese Kinder und Jugendliche schafft. Oft hakt es bereits an den einfachsten Gegebenheiten wie zum Beispiel in der Oberstufe dann daran, dass die Beförderung vom Heimatort zur Bildungsstätte selbst finanziert werden muss, was für manche bereits die erste “Schranke” darstellt. Man kann letztlich sagen, dass Max Weber, mit seiner Aussage von vor über 100 Jahren, weit vorausschauend war und bereits Züge in der Politik und Gesellschaft erkannte, in denen die Angehörigen der höheren Stände versuchten ihren Stand zu halten und Schranken schafften um den Zugang zu Bildung, von Menschen aus niedrigeren Ständen, zu erschweren, oder gar zu versperren. Es sollte also dringend ein Ziel sein diese Schranken endlich aus dem Weg zu schaffen, denn dieses Zeiten sollten schon längst hinter uns liegen.

 

Einige Denkanstöße

 

Seit der Antike wird die Korrelation zwischen Gleichheit und Gerechtigkeit immer wieder in Frage gestellt. Artikel 1 und 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte besagen, dass alle Menschen frei und gleich an Würde und Rechten geboren werden. Ungleichheit aufgrund von Geschlecht, Ethnie, Hautfarbe, Sprache, Religion, Meinung, Nation, sozialem Status, Eigentum oder anderen Gründen wird dort explizit verboten. Ist Gleichheit nun auch wirklich gerecht? Ist es „un“gerecht, wenn hilfsbedürftigen Menschen Unterstützung angeboten wird, anderen aber nicht? Meinem Verständnis kann man Gerechtigkeit nicht mit Gleichheit gleichsetzen, sondern verlangt ersteres oft nach Ungleichbehandlung der Menschen.

 

Chancengleichheit ist ein essentieller Bestandteil bei politischen Entscheidungen im Schulsystem. Doch auch geschlechtsspezifische Sozialisierung in der Schule fördert Ungleichheit. Durch Medien, Institutionen und vor allem auch die Eltern werden oft Berufe und Karrierevorstellungen in „Männer- und Frauenberufe“ unterteilt. Dieser „gender status belief“ beschreibt den Umstand, dass gewisse Eigenschaften einem bestimmten Geschlecht zugeordnet werden. Dies kann die eigene Wahrnehmung von Stärken und Schwächen gravierend beeinflussen und dementsprechend auch die spätere Berufswahl, welche durch eine hohe Kompatibilität mit dem Selbstbild getroffen wird. Ebenfalls weisen junge Frauen und Mädchen häufiger ihre beruflichen Aspirationen an externe Opportunitäten an. Das heißt, dass Berufsfelder in denen Männer überrepräsentiert sind, häufiger gemieden werden. Empirische Erhebungen zeigten auch, dass Kleinbetriebe fürchten, dass andersgeschlechtliche Auszubildende betriebliche Abläufe stören könnten. 

2019 führte der European Social Survey (ESS) eine Untersuchung über Gerechtigkeitsempfinden in Europa durch. Dort wurden die Teilnehmer*innen nach verschiedenen Formen von Gerechtigkeit gefragt, wie etwa ob eine gerechte Gesellschaft sich durch gleich verteilte Einkommen und Vermögen definiert, oder ob ein statusbezogener Anspruch gerecht wäre. In der Frage, ob hart arbeitende Menschen mehr verdienen sollten als andere lag Österreich an europaweiter Spitze.

Doch was bedeutet es “hart” zu arbeiten? Wer entscheidet über den Wert der Arbeit in der Gesellschaft?

Um nun wieder auf das Schulwesen und dessen gesellschaftspolitische Stellung zu kommen: Als Lehrperson ist es essentiell, sozial-gesellschaftliche Strukturen und deren ungerechte Dynamiken zu erkennen und diese nach bestem Wissen und Gewissen entgegenzuwirken. Damit Kindern und Jugendlichen ein gerechter Zugang zu Bildung zu ermöglicht werden kann, sind Veränderungen an unserem derzeitigen System unumgänglich.

 

(ein gemeinsamer Beitrag von Benedikt Barth, Johanna Maier, Lisa Scholz und Angelika Schlosser – Redaktionsgruppe B)