(Anmerkung der Verfasserin: Dieser Blogbeitrag wurde gewissermaßen „im Affekt“ verfasst – als impulsive Reaktion auf mehrere Stellungnahmen und Erkenntnisse zwischen den Zeilen des zugrundeliegenden Artikels von Sandner (2021). Als Nebenwirkungen vom Lesen dieses Textes können emotionale Betroffenheit, plötzliches Unverständnis o. Ä. auftreten, da einige derzeit vorherrschende Bedingungen an Österreichs Hochschulen teilweise stark kritisiert werden. Die Verfasserin bittet allerdings darum, diese Kritiken nicht ernst zu nehmen: Diese beziehen sich nämlich nicht auf eine einzelne Universität, sondern auf das derzeitige österreichische Hochschulsystem an sich.)
Kurz vor Anfang des Sommersemesters 2020 erreichte die Studierenden der Paris Lodron Universität Salzburg eine Mail des Vizerektors für Lehre und Studium, in der er ausdrücklich darum bat, die geschätzten Kollegen/-innen mögen bitteschön ein paar ECTS-Credits mehr verdienen als üblich, damit der Bonus, der der Universität von der Regierung zugesichert worden war, auch bei ihnen ankäme. Für viele eine ungewohnte Botschaft, das Studium wäre doch DER Bildungsweg, an dem man in seinem eigenen Tempo lernen könne! Weit gefehlt, denn in den letzten Jahrzehnten hat sich ein politischer Trend bemerkbar gemacht, der die Universität weg von der offenen Bildungseinrichtung hin zum geschlossenen Unternehmen wandeln sollte.
Ziehen wir erneut einen Querschnitt durch die Jahre nach dem zweiten Weltkrieg, die sowohl das Idealbild der Universitäten als auch die Institutionen selbst zu dem gemacht haben, was sie heute sind – Sandner (2021) hatte das ja bereits zusammengefasst. Auf das Ende des Krieges erfolgte ein Zeitraum der Restauration, in dem hauptsächlich die Professoren/-innen das Sagen hatten. Wer es auf den Lehrstuhl schaffte, war damit schon ganz vorne dabei. Unter Kreisky schwappte die Tendenz zur Demokratisierung aller Lebensbereiche auch auf die Universitäten über, und so bekamen auch wir Studierenden erstmals die Gelegenheit, bei wichtigen Entscheidungen mitzuwirken. Und heute? Bleibt davon kaum etwas mehr übrig. Die absolute Mehrheit des Senats – einem der wenigen Organe der Universität, an dem Studierende mitwirken können – ist nun nicht mehr erforderlich, stattdessen schwebt eine kleine Menge Professoren/-innen als Universitätsrat über die alma mater und lenkt als die Direktwähler des Vize- und Rektorats die Geschehnisse indirekt von oben. Fast schon wie ein kleiner Aufsichtsrat in einem großen Konzern.
Lässt sich hier eine Tendenz erkennen? Wenn nein, gibt es noch einige Ähnlichkeiten zu heute üblichen Unternehmen: Die Position des Chief Executive Officer hat der Rektor, die Vizerektoren könnten fast mit einem Vorstand, der Senat mit einer demokratischen Versammlung verglichen werden. Nach demselben Muster können Fachbereiche und Fakultäten sogenannten „Profit-Centers“ gleichgesetzt werden, deren Kennzahlen nicht Umsatz und Gewinn, sondern Inskriptionszahlen und Studienabschlüsse sind. Und nicht nur auf hierarchischer Ebene gibt es Ähnlichkeiten: Immer mehr Fachhochschulen und Universitäten versuchen mithilfe eines „Brand-Packages“ , sich am Markt zu positionieren, teilweise zu spezialisieren und sowohl national als auch international Top-Platzierungen zu erreichen. Sie überwachen auch den Markt nach Trendthemen, um diese in neue Studien- und Lehrgänge (beispielsweise der Studiengang „Sprache-Wirtschaft-Kultur“ des Fachbereichs Romanistik an der Universität Salzburg), aber auch Angebote für neue Zielgruppen (zu nennen ist das berufsbegleitende Studium an der Fachhochschule Villach) umzuwandeln. Während sich Unternehmen im Zuge der Personalentwicklung um die optimale betriebsinterne Karriere bemühen, setzen immer mehr Universitäten auf Karriereentwicklung ihrer Studenten, zum Beispiel über Career Center oder Kooperationen mit Firmen, die frischgebackene Absolventen/-innen bereits bei der Sponsion abholen. Und genauso wie Betrieben werden Universitäten vorgegebene Budgets zugeteilt, die sie möglichst einhalten sollten, und bekommen hin und wieder Subventionen oben drauf.
Womit wir wieder bei der Mail des Vizerektorats wären. In diesem wurde ja ein Abfall der prüfungsaktiven Studenten/-innen mit einem Verlust der finanziellen Mittel gleichgesetzt. Dies hat gewisse Ähnlichkeiten zu einer Aussage aus Sandners (2021, 83) Artikel, wo er Sabine Seidler zitiert: „Ein neues Studienrecht sollte […] verhindern, ‚dass viele Studierende zu lange im System bleiben’ “ . Die Absolventen/-innen einer Universität werden – gemäß der „Outputorientierung“ – zu einem Massenprodukt für die Gesellschaft, und diese als Klientin will vom Konzern Universität ihre Produkte zu einem niedrigen Preis und in möglichst kurzer Zeit geliefert, und gleichzeitig von hoher Qualität haben. Wenn dem nicht der Fall ist, kann diese nicht so wie ein Kunde eines Industriebetriebes den Vertrag abbrechen, da ja formal keiner bestanden hat. Durch die Regierung allerdings könnte die Gesellschaft die Universitäten bei Nichteinhaltung der geforderten Leistungen auch strafen, in etwa durch oben erwähnte Budgetkürzungen, oder dem Entfall der ihnen versprochenen Boni.
Eigentlich schade, wenn man bedenkt, was die Institution Universität früher einmal ausgemacht hat: ein unabhängiger, für alle zugänglicher Ort des Wissens um des Wissens willen, eine nährende Mutter. Ich als Studierende bin dieses idealisierte Bild, das damals von Universitäten herrschte, nicht gewohnt, da ich mich im derzeitigen System ja bereits mehrere Semester eingefunden habe. Natürlich bin ich dankbar dafür, dass ich von Obrigkeit und Technik in der Organisation meines Studiums unterstützt werde. Doch als Studierende, die mindestens acht Jahre ihrer Lebenszeit in sich selbst investiert, fühlt sich das Studium teilweise auch wie eine Fahrt auf dem Laufband eines Industriebetriebs an. Studierende durchlaufen verschiedene Stationen, die teilweise durch Teilnahmevoraussetzungen an höhergestellten Lehrveranstaltungen in einer fixen Reihenfolge zu sein scheinen.
Man stelle sich nun vor, an meiner Stelle sitze a.) ein/-e Studierende/-r, der/die neben seinem/ihrem Studium ein, zwei oder gar mehr Nebenjobs absolvieren muss, b.) eine Studierende, die im Laufe ihres Studiums ein Kind bekommen hat, oder c.) ein/-e Studierende/-r, der/die durch plötzliche oder länger andauernde Krankheit sein/ihr Studium nur eingeschränkt absolvieren kann. Der allerorts bekannte Spruch, vor dem Gesetz seien alle gleich, gilt hier ganz besonders. Wenn Studierende/-r a durch seine/ihre Nebenbeschäftigung sein/ihr Studium bis zum Ende der beiden Toleranzsemester hinauszögern muss, dann wird er/sie auch die rund 370 Euro pro zusätzlichem Semester zahlen müssen, Ausnahme gibt es hier nämlich keine. Wenn Studierende b sich im ganzen zweiten Studienjahr um ihren kleinen Sprössling kümmern muss und infolgedessen die durch die neue UG-Novelle festgesetzte Mindeststudienleistung nicht erfüllen kann, so erlischt auch ihre Zulassung, ohne darauf auch Rücksicht zu nehmen, dass sie eine Zusatzbelastung mit sich führt. Und was ist, wenn Studierende/-r c vielleicht gar nicht mehr dazu fähig ist, Präsenztermine wahrzunehmen geschweige denn voll und ganz am Studium teilzunehmen, und er/sie nicht mehr weiß, was er/sie machen soll? Kurzum, wer es einmal ins System geschafft hat, muss von nun an seine Fahne nach dem Winde hängen. Denn zwischen First-Generation-Student/-in und verwöhntem Spross aus einem akademischen Elternhaus wird hier auf negative Art und Weise nicht unterschieden. Produkte, die es nicht schaffen, die geforderten Leistungen zu erfüllen, werden auch hier aussortiert, oder haben beispielsweise schlechtere Chancen, bei den Endbenutzern – also Firmen und Institutionen – auch gut anzukommen.
Ein weiterer, vielleicht etwas aus dem Rahmen fallender, aber dennoch zu beobachtender Punkt ist die Änderung des Umgangs der Professoren/-innen mit ihren Studierenden, und das, was man im schulischen Kontext unter „Lehrer-Schüler-Beziehung“ versteht: Früher war es ganz oft so, dass man in enger Abstimmung und engem Kontakt mit seinem/-r Professor/-in studiert hat, sodass im Lebenslauf bisweilen folgende Klausel zu lesen war: „studierte bei Professor X.“ Bei kleineren Universitäten und Fachbereichen sowie bei Studienrichtungen mit verpflichtendem Einzelunterricht ist das – Gott sei Dank – noch immer so, bei vielen anderen, insbesondere Massenstudienrichtungen, ist man entsprechend seiner Matrikelnummer eine/-r von Tausenden, und fühlt sich dementsprechend auch wie eine Nummer. Dabei wird oft vergessen, dass sich hinter dieser achtstelligen, unscheinbaren Zahl ein Mensch aus Fleisch und Blut versteckt, mit seinen/ihren eigenen Erfahrungen, Geschichten, Vorlieben und Problemen. Und gerade durch die Pandemie wird einem oft klar, wie sehr man den persönlichen Kontakt mit der eigenen Lehrperson (nebst dem mit Kommiliton/-innen) zum effektiven Lernen braucht!
Warum kann man denn nicht einfach umdenken und umschwenken, mögen sich manche vielleicht fragen. So einfach geht das allerdings nicht. Wenn sich eine Gesellschaft auf einem Kurs befindet, kommt sie bekanntlich so schnell nicht davon ab – zunächst bis zum nächsten einschneidenden politischen Ereignis. Uns als Studierenden und Professoren/-innen bleibt also nur eines: abwarten, das Getränk seiner Wahl trinken und darauf hoffen, dass die Obrigkeit und unsere Gesellschaft einsieht, was eigentlich dadurch verloren gegangen ist.
Quellen und angeführte Beispiele:
Sandner, G. (2021). Soziale und politische Ungleichheit an Österreichs Hochschulen. In G. Sandner & B. Ginner (Hrsg.). Emanzipatorische Ungerechtigkeit (S. 73-84). Wien:
Lehre und Studium – FH Kärnten. In: Lehre & Studium | FH Kärnten (fh-kaernten.at) (letzter Zugriff am 17. 10. 2021)
SWK kurz zusammengefasst. In: SWK kurz zusammengefasst – Bachelorstudium SWK – Sprache Wirtschaft Kultur (sbg.ac.at) (letzter Zugriff am 17. 10. 2021)