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Mit der Schulreform von 1774 wurde unter Maria Theresia die Schulpflicht von 6 bis 13 Jahren eingeführt. Damit wurde der Grundstein gelegt für das staatliche Schulwesen in Österreich. Nach Josef II. in der Zeit der Reaktion nach dem Wiener Kongress kam es zu keinen nennenswerten Reformen.

Im 19. Jahrhundert wurde das Gymnasium neu organisiert, die Lehrer*innenausbildung weiterentwickelt und spezialisiert und die Grundbildung gesichert. Nach der Zäsur des Ersten Weltkriegs und den darauffolgenden gesellschaftspolitischen Umwälzungen vertrat Reformpolitiker Otto Glöckel die Idee der Gesamtschule. Jedoch fand er keinen Zuspruch in der Gesellschaft, es gab viel Widerstand gegen das Konzept Gesamtschule. Dies sollte sich als bildungspolitische Tendenz erweisen für die österreichische Geschichte im 20. und 21. Jahrhundert.

Nach einem mühsamen und langen Weg entstand 1962 ein neues Schulorganisationsgesetz, das zwischen ÖVP und SPÖ ausgehandelt wurde. Aus späterer Sicht sicherte dies jedoch eher den Jetzt-Zustand und war kein Wegbereiter für weiter Reformen.

In den 70er-Jahren unter Kreisky sah dies anders aus. Gekennzeichnet durch eine hohe Reformbereitschaft wurden Schritte gesetzt, die eine Gesamt- und Ganztagsschule hervorzuheben versuchten. Stattdessen manifestierte sich eine Trennung in AHS und Hauptschule mit Leistungsgruppen. Die Gesamtschule scheiterte nämlich am Widerstand der konservativen Fraktion.

Wirft man einen Blick ins 21. Jahrhundert, fällt auf, dass eine frühe Selektion immer noch durchs Schulsystem perpetuiert wird. Während die Hauptschulen – oder die Mittelschulen, oder die Neuen Mittelschulen – zwar am Papier Veränderungen durchlaufen, bleibt die Grundidee dieselbe. Die versuchte Einführung der Gesamtschule durch die Hintertür passierte nicht, auch und vor allem aufgrund von politischem Widerstand.

Betrachtet man nun diese Entwicklung in Österreich, erkennt man ein Festhalten an Kontinuität und ein Ablehnen von tatsächlicher Reform im Bezug aufs Schulsystem. Die Teilung in unterschiedliche Schularten ist stark gebunden an aktuelle politische Präferenzen. Während diese Trennung in AHS und (N)MS zwar Vorteile in sich trägt, werden die Nachteile nach wie vor ignoriert. Brennpunktschulen, fast immer Hauptschulen, werden Sammelstelle für Kinder und Jugendliche aus sozioökonomisch schwächeren Schichten. Aufstiegschancen für solche Schüler*innen werden viel zu oft aufgrund ihrer Schulbildung vereitelt. Durch die frühe Selektion der Lernenden wird in gewisser Hinsicht auch gegen Diversität gearbeitet; so entstehen Vorurteile gegenüber der jeweils anderen Gruppe und zwischen den Schüler*innen entsteht kein Diskurs. Die Gesamtschul-Diskussion ist öffentlich verstummt.

Während also die diversen Schulreformen – beginnend im 18. Jahrhundert – als Reaktion der realpolitischen Begebenheiten ihrer Zeit passierten, befinden wir uns in der heutigen Schulsystemdebatte an einem Nullpunkt. Andere europäische Länder, unter anderem als Reaktion auf schlechte PISA-Ergebnisse, brachten langfristige bildungspolitische Änderungen hervor mit positiven Nachwirkungen. In Österreich scheint man allerdings zu beschäftigt zu sein mit den Um- und Neubenennung der Hauptschulen, um auf bildungswissenschaftliche Erkenntnisse einzugehen und das Schulsystem zu reflektieren.

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In der Soziologie wird die Institution Schule als eine Einrichtung betrachtet, die zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beiträgt. Die Bildungsinstitutionen übernehmen schulische Sozialisationsprozesse, welche zu einer generationsbedingten Reproduktion der Gesellschaft führen.

Schule fördert nicht nur Eigenschaften, sondern auch Fähigkeiten die gesellschaftlich anerkannt sind. “Somit kommt der Schule als Institution, die Funktion der Normierung zu und der wirtschaftliche Aspekt steht im Mittelpunkt. Die Vermittlung von Wissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten, die für die konkrete Arbeit erforderlich sind, wird als Qualifizierungsfunktion bezeichnet.” (Auer, 2015, S. 55). Diese Funktion des Bildungssystems ist für das Berufs- und Beschäftigungssystem notwendig, um wettbewerbsfähig zu bleiben (vgl. Auer, 2015, S. 53-54).

Die Allokationsfunktion und Selektionsfunktion

Allokationsfunktion und Selektionsfunktion, beide dieser Funktionen beziehen sich auf die Sozialstruktur der Gesellschaft. Vor allem das Bildungssystem trägt dazu bei, junge Menschen auf die berufliche Tätigkeit vorzubereiten. Die berufliche Position ist sehr entscheidend, denn die soziale Position eines Individuums in der Gesellschaft hängt stark von dieser ab. Das Bildungssystem führt Personen je nach der jeweiligen Qualifizierung zu niedrigen oder hohen beruflichen Positionen. Die berufliche Position wiederum wird durch unterschiedliche Schulabschlüsse bestimmt und führt letztendlich zu Macht und Prestige, und damit verbundenen Lebenschancen. Obwohl grundsätzlich verschiedene Bildungswege offenstehen, können Kinder aus unteren sozialen Schichten schwer zu höherer Bildung gelangen (vgl. Auer, 2015, S. 55-56)!

Integrations- und Legitimationsfunktion

Das Schulsystem macht gesellschaftliche Integration möglich. In der Schule werden gezielte Werte, Normen und Weltsichten vermittelt, die zur Stabilisierung des politischen Systems dienen. 

Das Bildungssystem trägt auch einen großen Beitrag zur Friedenssicherung und zum Zusammenhalt der Gesellschaft bei. Schüler und Schülerinnen sollen das Gefühl haben ein wichtiger Teil der Gesellschaft zu sein und sich auch für das Gemeinwohl verantwortlich zu fühlen. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Schule soziale Integration möglich macht.

Eine weitere Funktion des Bildungssystems ist das Verstehen und die Zustimmung des politischen Regelsystems. Schüler und Schülerinnen lernen die Regelungen des Schulsystem und akzeptieren sie. Dadurch werden diese Regelungen als legitim anerkannt und das gesamte System wird gestärkt und verstanden (vgl. Auer, 2015, S. 56).

Meritokratie als schulische Leitkultur

„Meritokratie lat.: meritum, das Verdienst; griech.: kratein, für herrschen“ (Becker & Hadjar, 2009, zitiert nach Auer, 2015, S.57)  beschreibt eine Herrschaftsordnung einer Gesellschaft, in der eine Zuordnung zu einem gesellschaftlichen Status, und die damit verbundenen Vorzüge oder Nachteile, sich nach den Verdiensten der Person richten.

Das Bildungssystem ist ein solches System indem „Ungleichheit [als] funktionalistische Notwendigkeit moderner Gesellschaften“ gesehen wird. Dabei werden durch das meritokratische Leitmotiv, das besser bekannt ist als “Meritokratische Triade” (Becker & Hadjar, 2009, zitiert nach Auer, 2015, S. 58), legitime und illegitime Einflüsse genannt, die diese Ungleichheit verdeutlichen. Es besagt, dass man je nach Ausbildungsgrad eine entsprechende berufliche Stellung und somit auch verschiedene Einkommensklassen rechtfertigt. Jedoch ist dabei wichtig, dass weder die soziale Herkunft noch das Geschlecht, ein legitimer Einfluss für die soziale Ungleichheiten sind. 

Meritokratische Legitimationsprinzip

Die natürliche Fundierung sozialer Ungleichheit begründet Bildungsunterschiede als Resultat von Intelligenz- und Begabungsunterschieden. Außerdem wird versucht den Anteil der Faktoren biologischer und sozialer Voraussetzungen zu eruieren, die sie hervorrufen können. Das Schulsystem kann die individuelle genetische Ausstattung nicht vollends ausgleichen. Trotzdem darf man nicht vergessen, dass Intelligenz und Leistungskategorien soziale Konstrukte sind und zukünftig durchaus andere Denkansätze entstehen könnten.

Die Darstellung von Ungleichheit in österreichischen Schulen, die mit der Hierarchisierung der Berufspositionen und der damit verbundenen sozialen und ökonomischen Anerkennung im Einklang steht, wird als notwendig erachtet. Außerdem wird die Ungleichheit partikularistisch definiert, sodass Ungleichheit als individuelles Problem bestimmt werden kann. Außerdem sind organisierte Bildungsprozesse nötig, um Kompetenzen zur Verfügung zu stellen und diese mit Zertifikaten zu vermitteln, die als Qualifikationsnachweis gelten. Vor allem die persönliche Leistung steht bei Lehrern*Innen für die Leistungsbeurteilung im Vordergrund (vgl. Auer, 2015, S. 59-62).

Literaturverweis

Auer, A. (2015). Selektionsmechanismen im österreichischen Bildungssystem : zur Durchlässigkeit beim Übergang von der Primarstufe zur Sekundarstufe I. JKU, Linz, 52-63. 

Christina Grill, Lea Sali, Anica Keskic