(von Annemarie Schaffer)
Ein wichtiger – wenn nicht der wichtigste – Faktor, der nun seit einigen Jahrzehnten in der westlichen Welt Politik und Gesellschaft prägt, ist die Wirtschaft bzw. das stetige Streben nach Wirtschaftswachstum. Dass davon auch Schul- und Bildungssysteme nicht unberührt bleiben, ist bei der engen Verknüpfung zwischen Schule und Gesellschaft ganz klar.
Was für einen (absurd) dominanten Platz die Wirtschaft und ihr Wachstum in unserer Gesellschaft eingenommen hat, ist mitunter an einer Einschaltung ersichtlich, die u.a. am 24. April 2021 im Lokalteil der Tageszeitung Salzburger Nachrichten im Zuge einer Kampagne einer Salzburger Oppositionspartei abgedruckt wurde. Die Überschrift dieser Einschaltung lautet: „Wirtschaft wieder leben lassen“. Unter dieser wird angeführt, dass laut einer Umfrage im November 2020 mehr als die Hälfte der gefragten Personen die Maßnahmen der Regierung und die daraus resultierenden wirtschaftlichen Folgen für das Schlimmste an der Covid-19 Pandemie erachteten. Darauffolgend heißt es weiter, dass das der stärkste Wirtschaftseinbruch seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges sei. Abgeschlossen wird die Einschaltung mit der fettgedruckten Frage „Ist es das wirklich wert?“. Meine Antwort darauf: Ja, ist es! Die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Covid-19 Virus haben der Form von Wirtschaft, wie sie in der westlichen Welt betrieben wird, bestimmt geschadet, aber immerhin dienten sie (und dienen immer noch) dazu Menschenleben zu retten. Denn im Unterschied zur Wirtschaft – auch wenn die oben zitierte Überschrift Gegenteiliges suggerieren mag – leben Menschen tatsächlich und können infolgedessen ihr Leben durch Krankheiten wie die, die vom Covid-19 Virus ausgelöst wird, verlieren. Dass ein Rückgang der Wirtschaftsleistung das Leben der Menschen derartig negativ beeinflussen kann, zeigt uns weniger, was uns diese Einschaltung weismachen wollen zu scheint, nämlich wie schlecht die Maßnahmen gegen die Pandemie waren, sondern, dass der Wirtschaft in unserer Gesellschaft wesentlich mehr Platz und Bedeutung beigemessen wird, als es gesund für uns ist.
Ähnliches stellt auch Maja Göpel in ihrem 2020 erschienenen Buch Unsere Welt neu denken fest, wenn sie schreibt, dass sich „[n]icht nur in den sozialen Medien – aber nirgends besser als da – […] sehen [lässt], wie die Idee des Verkaufens und des Wettbewerbs in Lebensbereiche vorgedrungen ist, in denen das Gesetz von Angebot und Nachfrage zuvor intrinsischen Werten nachgelagert war.“ (Göpel 2020, 69) Dabei bezieht sie sich darauf, dass es mittlerweile Menschen geben soll, deren „Gefühl für die eigene Existenz und Präsenz“ (Göpel 2020, 69) an der Anzahl ihrer „Follower[], Likes und Freundschaftsanfragen“ (Göpel 2020, 69) hängt. Dass das für die menschliche Psyche nicht gesund sein kann, scheint mir mehr als einleuchtend zu sein. Der Mensch in der heutigen Gesellschaft aber hat sich dem herrschenden Wirtschaftssystem dermaßen unterworfen, dass man es nicht einmal als sehr übertrieben empfinden kann, wenn Göpel schreibt: „Wir sind […] alle Humankapital und müssen darauf achten, unseren Marktwert zu steigern.“ (Göpel 2020, 69) Jetzt mag man einwenden, dass das oben zitierte Beispiel Göpels ja nur für die Welt von Social Media relevant sei, aber dagegen kann mit Göpel angeführt werden, „dass das ökonomische Denken in Lebensbereiche eingewandert ist, die ursprünglich nichts mit Wirtschaft zu tun hatten. Die Fürsorge für andere Menschen, kranke, alte und Kinder, ist in diese Logik genauso eingespannt worden wie die Ausbildung, die Partnerwahl oder der eigene Körper.“ (Göpel 2020, 68)
Diese Lebensbereiche sind absolut in der realen Welt zu verorten und ihre Unterordnung unter wirtschaftliche Prinzipien führt – um Göpels Beispiel der Ausbildung herauszugreifen – zu Phänomenen wie der in einem früheren Beitrag behandelten Selektion von Schüler*innen nach Schulnoten, damit man sie als Erwachsene wirtschaftlich möglichst sinnvoll in einem Beruf(sfeld) zuordnen kann. Das heißt dann, dass Wohlergehen der Menschen ihrem eigenen wirtschaftlichen Wert untergeordnet werden. So sollte eine Gesellschaft, die aus Menschen besteht, eigentlich nicht funktionieren wollen.
Da regt es zum Nachdenken an und lässt einen auch hoffen, wenn man im Wirtschaftsteil der Salzburger Nachrichten vom 26. Mai 2020 folgende Schlagzeile liest: „Im fairen Handel gab es keine Coronakrise – im Gegenteil“ (Kretzl 2021). Dass ausgerechnet ein Wirtschaftszweig, der nicht nur auf Profit aus ist, sondern dabei auch auf das Wohl der Menschen achtet, in einer Zeit, in der so viele andere Branchen Verluste erleiden mussten, seinen Umsatz steigern konnte, sollte uns, nicht nur als angehende Lehrkräfte, sondern auch als Mitglieder unserer Gesellschaft dazu ermutigen fair zu handeln.