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(von Annemarie Schaffer)

Ein wichtiger – wenn nicht der wichtigste – Faktor, der nun seit einigen Jahrzehnten in der westlichen Welt Politik und Gesellschaft prägt, ist die Wirtschaft bzw. das stetige Streben nach Wirtschaftswachstum. Dass davon auch Schul- und Bildungssysteme nicht unberührt bleiben, ist bei der engen Verknüpfung zwischen Schule und Gesellschaft ganz klar.

Was für einen (absurd) dominanten Platz die Wirtschaft und ihr Wachstum in unserer Gesellschaft eingenommen hat, ist mitunter an einer Einschaltung ersichtlich, die u.a. am 24. April 2021 im Lokalteil der Tageszeitung Salzburger Nachrichten im Zuge einer Kampagne einer Salzburger Oppositionspartei abgedruckt wurde. Die Überschrift dieser Einschaltung lautet: „Wirtschaft wieder leben lassen“. Unter dieser wird angeführt, dass laut einer Umfrage im November 2020 mehr als die Hälfte der gefragten Personen die Maßnahmen der Regierung und die daraus resultierenden wirtschaftlichen Folgen für das Schlimmste an der Covid-19 Pandemie erachteten. Darauffolgend heißt es weiter, dass das der stärkste Wirtschaftseinbruch seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges sei. Abgeschlossen wird die Einschaltung mit der fettgedruckten Frage „Ist es das wirklich wert?“. Meine Antwort darauf: Ja, ist es! Die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Covid-19 Virus haben der Form von Wirtschaft, wie sie in der westlichen Welt betrieben wird, bestimmt geschadet, aber immerhin dienten sie (und dienen immer noch) dazu Menschenleben zu retten. Denn im Unterschied zur Wirtschaft – auch wenn die oben zitierte Überschrift Gegenteiliges suggerieren mag – leben Menschen tatsächlich und können infolgedessen ihr Leben durch Krankheiten wie die, die vom Covid-19 Virus ausgelöst wird, verlieren. Dass ein Rückgang der Wirtschaftsleistung das Leben der Menschen derartig negativ beeinflussen kann, zeigt uns weniger, was uns diese Einschaltung weismachen wollen zu scheint, nämlich wie schlecht die Maßnahmen gegen die Pandemie waren, sondern, dass der Wirtschaft in unserer Gesellschaft wesentlich mehr Platz und Bedeutung beigemessen wird, als es gesund für uns ist.

Ähnliches stellt auch Maja Göpel in ihrem 2020 erschienenen Buch Unsere Welt neu denken fest, wenn sie schreibt, dass sich „[n]icht nur in den sozialen Medien – aber nirgends besser als da – […] sehen [lässt], wie die Idee des Verkaufens und des Wettbewerbs in Lebensbereiche vorgedrungen ist, in denen das Gesetz von Angebot und Nachfrage zuvor intrinsischen Werten nachgelagert war.“ (Göpel 2020, 69) Dabei bezieht sie sich darauf, dass es mittlerweile Menschen geben soll, deren „Gefühl für die eigene Existenz und Präsenz“ (Göpel 2020, 69) an der Anzahl ihrer „Follower[], Likes und Freundschaftsanfragen“ (Göpel 2020, 69) hängt. Dass das für die menschliche Psyche nicht gesund sein kann, scheint mir mehr als einleuchtend zu sein. Der Mensch in der heutigen Gesellschaft aber hat sich dem herrschenden Wirtschaftssystem dermaßen unterworfen, dass man es nicht einmal als sehr übertrieben empfinden kann, wenn Göpel schreibt: „Wir sind […] alle Humankapital und müssen darauf achten, unseren Marktwert zu steigern.“ (Göpel 2020, 69) Jetzt mag man einwenden, dass das oben zitierte Beispiel Göpels ja nur für die Welt von Social Media relevant sei, aber dagegen kann mit Göpel angeführt werden, „dass das ökonomische Denken in Lebensbereiche eingewandert ist, die ursprünglich nichts mit Wirtschaft zu tun hatten. Die Fürsorge für andere Menschen, kranke, alte und Kinder, ist in diese Logik genauso eingespannt worden wie die Ausbildung, die Partnerwahl oder der eigene Körper.“  (Göpel 2020, 68)

Diese Lebensbereiche sind absolut in der realen Welt zu verorten und ihre Unterordnung unter wirtschaftliche Prinzipien führt – um Göpels Beispiel der Ausbildung herauszugreifen – zu Phänomenen wie der in einem früheren Beitrag behandelten Selektion von Schüler*innen nach Schulnoten, damit man sie als Erwachsene wirtschaftlich möglichst sinnvoll in einem Beruf(sfeld) zuordnen kann. Das heißt dann, dass Wohlergehen der Menschen ihrem eigenen wirtschaftlichen Wert untergeordnet werden. So sollte eine Gesellschaft, die aus Menschen besteht, eigentlich nicht funktionieren wollen.

Da regt es zum Nachdenken an und lässt einen auch hoffen, wenn man im Wirtschaftsteil der Salzburger Nachrichten vom 26. Mai 2020 folgende Schlagzeile liest: „Im fairen Handel gab es keine Coronakrise – im Gegenteil“ (Kretzl 2021). Dass ausgerechnet ein Wirtschaftszweig, der nicht nur auf Profit aus ist, sondern dabei auch auf das Wohl der Menschen achtet, in einer Zeit, in der so viele andere Branchen Verluste erleiden mussten, seinen Umsatz steigern konnte, sollte uns, nicht nur als angehende Lehrkräfte, sondern auch als Mitglieder unserer Gesellschaft dazu ermutigen fair zu handeln.   

(von Annemarie Schaffer)

Während der erste Teil dieses Beitrags den Fokus mehr auf einen möglichen praktischen Umgang mit dem Thema in Unterricht und Schule gerichtet hat, soll nun die historische Entwicklung vom Umgang mit sprachlicher Heterogenität in der Schule und auch die der dazugehörenden Forschung beleuchtet werden. Außerdem soll auch ein Blick darauf geworfen werden, inwiefern österreichische Lösungen dem aktuellen Stand ent- bzw. widersprechen. Die Grundlage dafür bietet Heidi Röschs Deutschunterricht in der Migrationsgesellschaft. Eine Einführung, erschienen 2017 im Metzler-Verlag.

Rösch stellt in ihrem Kapitel über Bildungskonzepte in der Migrationsgesellschaft (137ff.) die Entwicklung der durch die „Anwerbung sogenannter Gastarbeiter in die Bundesrepublik Deutschland (1955-1973)“ notwendig gewordenen „pädagogische[n] Konzepte zum Umgang mit den veränderten Gruppenkonstellationen in Bildungseinrichtungen“ zunächst verkürzt und überblickshaft folgendermaßen dar: „von der Ausländerpädagogik (in den 1980er Jahren) über die interkulturelle Pädagogik (in den 1990er Jahren) zur Migrationspädagogik (seit 2004)“. Diese Entwicklung ist angetrieben durch die Kritik, die an den einzelnen Konzepten laut wurde und durch einen stetigen Wechsel zwischen „Mehrheitsperspektive“ und „Minderheitenperspektive“. Konkret bedeutet das, dass – nachdem vonseiten der Minderheitenperspektive aufgrund der Defizitorientierung der Ausländerpädagogik Kritik laut wurde – fast zeitgleich das Konzept der Minderheitenpädagogik entwickelt wurde, das einen ressourcenorientierten Ansatz verfolgte. Der Fokus lag dabei statt auf der Deutschförderung eher auf dem Recht auf Muttersprachenunterricht. Während aber gegenüber dem Ziel der Ausländerpädagogik (Integration) die Befürchtung bestand, dass es zur Assimilation der Minderheit an die Mehrheitsgesellschaft führen könnte, musste sich die Minderheitenpädagogik mit ihrem Emanzipationsgedanken der Kritik der möglichen Segregation stellen. Auch auf der Seite der Mehrheitsperspektive entwickelte sich als Reaktion auf die Ausländerpädagogik ein Gegenkonzept: Mit der interkulturellen Pädagogik verfolgte man einen Ansatz, der sich nun hauptsächlich auf die gesellschaftliche Mehrheit der Einheimischen als Zielgruppe fokussierte. Ziel dieses neuen Konzepts war es, durch „Begegnung zwischen Einheimischen und Eingewanderten […] Empathie vor allem von den Einheimischen für die Eingewanderten“ zu erzeugen. Aber auch hier ließ Kritik nicht lange auf sich warten. Denn „[v]or allem auf Grundlage eines statischen Kulturbegriffs entstanden zwei sich gegenüberstehende Kulturen, was die Kulturalisierung der Eingewanderten befördert und sie zu Anderen macht.“ Der Differenzorientierung der interkulturellen Pädagogik stellte die antirassistische Pädagogik ihre Diskriminierungsorientierung entgegen. Dabei ging es der Kritik zufolge aber teilweise zu sehr um die Fokussierung „individuelle[r] (statt strukturelle[r]) (Alltags-) Rassismen“, was zu einer pauschalen Einordnung der Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft als rassistische Täter*innen „und der Minderheitenangehörigen als Opfer von Rassismus“ und damit zur Verstärkung der „Wahrnehmung von Differenzen“ führen könnte. Um dem entgegenzuwirken, wird auch heute noch versucht, „einen konstruktiven Umgang mit Differenzlinien zu entwickeln, der über Zuschreibungen hinausgeht, Mehrfachzugehörigkeiten bewusst macht und die dahinterstehenden Konstruktionen und Auswirkungen reflektiert.“ Anfang der 1990er entwickelte die Erziehungswissenschafterin Annedore Prengel die Pädagogik der Vielfalt. Dabei geht es ihr darum, die „bestmögliche[] Bildung für jedes Individuum“ zu ermöglichen und „eine[] egalitäre Differenz in einer demokratischen Gesellschaft“ zu entwickeln. Unterschiede – sei es im Geschlecht oder in der (kulturellen) Herkunft – sollen darin „nicht als Defizit oder Bedrohung, sondern als Bereicherung wahr[genommen werden]“. Allerdings ergab sich hier – wohl aufgrund der Tatsache, dass dieses Konzept aus der Mehrheitsperspektive gedacht wird – das Problem, „dass die Umsetzung in eine ›Multi-Kulti-Idylle‹ mit kulturalistischen Zuschreibungen mündete.“  Paul Mecherils in den frühen 2000ern entwickelte Migrationspädagogik darf nicht als eine Migrant/innen-Pädagogik missverstanden werden und muss von einer solchen scharf abgegrenzt werden. Denn bei seinem Konzept handelt es sich nicht um eine Zielgruppenpädagogik, sondern sein Fokus liegt auf der „Beschreibung und Analyse der dominanten Schemata und Praxen der Unterscheidung zwischen natio-ethno-kulturellem ‚Wir‘ und ‚NichtWir‘ und zielt auf die Stärkung und Ausweitung der Möglichkeiten der Verflüssigung und Versetzung dieser Schemata und Praxen.“ Damit funktioniert seine Argumentation im Vergleich zu Prengels Pädagogik der Vielfalt eher auf struktureller Ebene, „stellt einem additiven Verständnis von Diversität die integrative Reflexion von Differenzordnungen gegenüber“ und rückt damit Intersektionalität statt Diversität zum Mittelpunkt seiner Betrachtungen und seines Konzepts. Allerdings läge dabei seinen Kritikern zufolge der Schwerpunkt zu sehr auf dem Bereich der Migration, wodurch „andere Gesellschaftsbereiche oder          -konzepte aus[ge]klammert“ würden. Dieser Kritik sieht sich Cristina Allemann-Ghionda mit ihrem Konzept der Bildung für alle nicht ausgesetzt. Denn bei allen Gemeinsamkeiten, die ihre Pädagogik mit der Mecherils aufweist, verzichtet sie aber auf jegliche Schwerpunktsetzung und schaff es damit, dass sich in ihrem Konzept „die an der Mehrheits- und Minderheitenperspektive orientierenden Argumentationsmuster […] treffen.“ Als kleinen Kritikpunkt merkt Rösch dazu an, dass – auch wenn dieser Ansatz „längerfristig sicher zielführend(er)“ sei – darin die Gefahr läge, „dass die Spezifik der Migrationssituation aus dem Blick gerät und sich dominanzkulturelle Perspektiven jenseits der Differenzlinie Migration in den Vordergrund schieben.“

Bei Betrachtung dieser Vielfalt von Konzepten fällt auf, dass Einigkeit nur darin besteht, dass auch die Pädagogik auf die durch das Migrationsgeschehen veränderte und sich immer weiter verändernde Gesellschaft reagieren muss. Dazu, in welcher Weise das aber am besten geschehe sollte, gibt es viele, sich zum Teil widersprechende Ideen. Bei jedem der oben vorgestellten Konzepte lässt sich – wie es Rösch deutlich darstellt – bei genauerem Hinschauen der eine oder andere Kritikpunkt finden. Bei aller Uneinigkeit aber haben diese theoretischen Konzepte das gemeinsame praktische Ziel, in einer (sprachlich) heterogenen Gesellschaft einen gerechten Zugang zu (institutioneller) Bildung für alle Mitglieder dieser Gesellschaft zu ermöglichen. Dass ein solcher – nicht nur, aber insbesondere auch – für Personen mit einer Migrationsgeschichte oft nicht gegeben ist, und welche Maßnahmen diesbezüglich unternommen werden (können oder sollten), stellt Rösch in den Unterkapiteln 4.4 Differenzlinie Sprache (198ff.) und 4.5 Sprachliche Bildungsangebote (202ff.) ihres Buches dar:  

Ein Phänomen, mit dem sich vor allem Menschen mit einer gesellschaftlich weniger anerkannten Erstsprache häufig konfrontiert sehen, ist der Linguizismus. Diese „Diskriminierung der Sprachen eingewanderter oder autochthoner Minderheiten und ihrer Sprecher/innen“ lässt sich speziell im Bildungsbereich daran beobachten, „dass Migrationssprachen keinen Einzug in Bildungseinrichtungen finden oder dort verboten werden, dass ihre Sprecher/innen auf ihre Kompetenz in der Amtssprache reduziert werden und ihre Zwei- oder Mehrsprachigkeit nicht wahrgenommen wird.“ Als konkretes Beispiel dafür muss man sich nur in Erinnerung rufen, wie in den vergangenen Jahren in Österreich (und auch in Deutschland) immer wieder der Ruf nach einem Deutschgebot auf den Schulhöfen laut wurde. Dieses höchst umstrittene angestrebte de-facto-Verbot der eigenen Muttersprache ist etwas, womit sich Schüler*innen mit Migrationshintergrund immer wieder von Neuem konfrontiert sehen. Das zeigt auch eine schnelle online-Suche zum Thema, bei der sich mitunter zwei Artikel der Tageszeitung der Standard aus den Jahren 2011 und 2016, ein Artikel der Tageszeitung Die Presse aus dem Jahr 2018 und einer der Zeitschrift Focus ebenfalls aus dem Jahr 2016 finden lassen. Zwar widerspricht ein allgemeines Deutschgebot, wie es beispielsweise die schwarz-blaue Regierung Oberösterreichs angestrebt hat, auch einem Gutachten, das – wie es der oben erwähnte Presse-Artikel berichtet – bereits 2015 „vom Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes erstellt“ wurde, aber das hält Verfechter dieser Maßnahme genauso wenig davon ab, sie immer wieder durchzusetzen zu versuchen, wie zahlreiche widersprechende Expertenmeinungen. Dabei lässt ein Blick in die europäische Geschichte schnell Zweifel daran aufkommen, ob ein Sprachverbot das Ziel, das Befürworter*innen eines solchen verfolgen, überhaupt unterstützt. Denn angenommen, dass die Forderung nach einem Deutschgebot auf Schulhöfen tatsächlich dem Wunsch entspringt, dass mehr und besser (vielleicht sogar auch lieber) Deutsch gesprochen wird, sollte man sich die Frage stellen, ob Verbote jemals dazu führen können, dass das, was verboten wird an Attraktivität verliert bzw., ob etwas, das den Menschen aufgezwungen wird, jemals positiv konnotiert sein kann. Das konkrete Beispiel des Katalanisch-Verbots während der Franco-Diktatur in Spanien, das Anita Malli unter anderem in ihrem Beitrag im Standard anführt, lässt Gegenteiliges vermuten: So berichtet Malli, dass es auch Jahrzehnte nach dem Ende der Diktatur immer noch Katalan*innen gäbe, die „das Spanische emotional [ablehnen]“. Ist es das, was wir uns für unsere Schüler*innen mit einer anderen Erstsprache als Deutsch wünschen? Wohl eher nicht, denn erfolgreiche Integration sollte anders aussehen.

Wie konstruktive und wertschätzende Unterstützung von Schüler*innen, die Deutsch ‚nur‘ als Zweitsprache haben, aussehen kann oder sollte, legt auch Heidi Rösch dar. Zunächst aber zeigt sie anhand von Anette Müllers Modell, in welchen Dimensionen sich die „Differenzlinie Sprache“ offenbaren kann, und auf welche Weise sie in den Schul- und Unterrichtsalltag hineinspielen können. Dafür analysiert sie ein Fallbeispiel, indem sie „die vier von [Müller] genannten Dimensionen auf die Differenzlinie Sprache/n an[]wendet“: Im Beispiel geht es um eine Grundschülerin türkischer Herkunft, der als Reaktion auf einige Fehler in einem Aufsatz von einem ihrer Mitschüler schlechtere Deutschkenntnisse attestiert werden. Die Begründung, die er dafür gleich mitliefert, ist, dass sie „zuhause Türkisch sprich[]t“. Nachdem das Mädchen sich verteidigt, dass sie zuhause Deutsch spreche, greift die Lehrkraft ein und weist darauf hin, dass es ganz natürlich sei, dass das Mädchen, dadurch, dass sie zweisprachig ist, mehr Fehler macht als ihr vermeintlich einsprachiger Mitschüler. Außerdem weist sie wertschätzend darauf hin, dass der Aufsatz dafür inhaltlich sehr gut sei. Allerdings erweist sich die Zuschreibung der Lehrkraft, dass der Junge einsprachig sei, später als falsch, da sich im Gespräch mit der Mutter herausstellt, dass er zweisprachig (Deutsch/Russisch) aufwächst, was ihm allerdings unangenehm ist, da er Einsprachigkeit für besser erachtet als Zweisprachigkeit. Bezüglich Müllers verinnerlichter Dimension merkt Rösch an,

             dass auch im Blick auf Mehrsprachigkeit Offenheit gegenüber dem Selbstverständnis und Multiperspektivität hinsichtlich unterschiedlicher Identitätskonzepte zu gewährleisten ist. Manche empfinden die Fokussierung auf Zwei- oder Mehrsprachigkeit – aus welchen Gründen auch immer – als Zuschreibung, die nicht mit ihrer Selbstwahrnehmung übereinstimmt, andere erkennen darin eine hohe Wertschätzung.       

Die beiden Kinder aus dem Beispiel stehen (ihrer jeweiligen) Mehrsprachigkeit negativ gegenüber, was Rösch mitunter darin begründet sieht, dass sie „keine positiven Erfahrungen mit Zweisprachigkeit gemacht haben, vielleicht keine zweisprachigen Identifikationsfiguren kennen und deshalb bislang auch keine positiv besetzte zweisprachige Identität ausbilden (konnten).“ Hier würde sich die Schule als möglicher Raum für positive Erfahrungen anbieten. Wenn nämlich bezüglich Müllers interaktionaler Dimension nicht nur – wie es im Zuge eines klärenden Gesprächs in Röschs Fallbeispiel geschehen ist – die „Einstellung zu Mehrsprachigkeit“ in Schule und Unterricht in den Blick genommen, sondern auch die DaZ (=Deutsch als Zweitsprache)-Perspektive miteinbezogen wird, ergibt sich die Situation, dass DaZ-Lernende nicht mehr „mit den Maßstäben für Deutsch-als-Erstsprache-Lernende gemessen werden und deshalb benachteiligt sind.“ Das kann beispielsweise geschehen indem „man den Fokus […] auf einen DaZ-spezifischen Sprachgebrauch im Umgang mit ‚kleinen Wörtern‘ (Proformen), Vergangenheitsformen, der Verbklammer oder ähnlichem [legt]“, wodurch „den Schüler/innen ihr DaZ-Lernstand bewusst [würde] und sie […] Anregungen zum Weiterlernen [erhielten].“ Dagegen „[verfestigt die] Nicht-Thematisierung dieses im Bildungssystem hochrelevanten Lernbereichs […] die negative Sicht auf DaZ-Lernende, statt ihre besonderen Sprachlernleistungen sichtbar zu machen.“ Im Bezug auf Müllers epistemische Dimension merkt Rösch an, dass es wichtig sei,

die Diskurse um sprachliche Bildung [nicht] als Kontroverse zwischen DaZ und Mehrsprachigkeit zu führen. Denn es handelt sich um unterschiedliche, aber keine gegensätzlichen Zugänge zur sprachlichen Bildung in der Migrationsgesellschaft. Die Vorstellung, DaZ könne durch ein mehrsprachiges Konzept ersetzt werden, erscheint unsinnig, da niemand die Sprachkompetenz in der zweiten durch den Gebrauch seiner ersten entwickeln kann. Gleichzeitig ersetzen DaZ-Angebote aber auch den konstruktiven Umgang mit lebensweltlicher Mehrsprachigkeit in keiner Weise.

Müllers institutionell Dimension bespricht Rösch zunächst kurz konkret mit Bezug auf ihr Fallbeispiel: Hier „wäre der nächste Schritt gewesen, die DaZ-Perspektive im Unterricht systematisch zu verankern, mit allen Schüler/innen über Mehrsprachigkeit zu sprechen und mit ihnen gemeinsame Strategien zu entwickeln, ihre und die gesellschaftliche Mehrsprachigkeit in der Schule sichtbar zu machen.“ Ausführlicher behandelt sie sie im oben bereits erwähnten Unterkapitel 4.4 Sprachliche Bildungsangebote. Darin stellt sie ein-/ und zweisprachige Bildungsangebote vor, beschreibt (inklusive konkreter Vorschläge zur Anwendung in den verschiedenen Unterrichtsgegenständen) das Prinzip der Language Awareness, dessen Ziel es ist „Akzeptanz der Migrationssprachen“ und „Offenheit für Mehrsprachigkeit“ herzustellen, als Mittel zwischen den beiden ersteren und spricht mit dem 2011 vom ÖSZ (=Österreichisches Sprachkompetenz-Zentrum) herausgegebenen Curriculum Mehrsprachigkeit auch die Ebene der sprachlichen Bildung für Lehrer*innen aller Unterrichtsfächer an. Dass dieses Thema mittlerweile immerhin Eingang in die pädagogische Ausbildung findet, lässt hoffen, dass sich mit der Zeit auch der Alltag an Österreichs Schulen diesbezüglich ändert, sodass nicht Sprachverbote, sondern Sprachbewusstheit ihn prägen und Schüler*innen mit einer anderen Muttersprache als Deutsch gleichzeitig Unterstützung beim (Deutsch-)Lernen und Wertschätzung gegenüber ihrer Mehrsprachigkeit erfahren.  

 

 

 

(Annemarie Schaffer)

Der folgende Beitrag entstand u.a. in der Auseinandersetzung mit einem Kapitel des Buches ‚Die Elenden‘, erschienen 2020 im Hanser Verlag.

Anna Mayr, deutsche Journalistin und als Tochter zweier Langzeitarbeitsloser mit Hartz-IV aufgewachsen, stellt darin Beobachtungen und Überlegungen zum Umgang der Gesellschaft mit „den Arbeitslosen“ an. Dabei kann das Kapitel ‚Das Ändern der Realität. Warum das Schicksal der Arbeitslosen für alle wichtig ist‘ durchaus als Plädoyer für eine unvoreingenommene und differenzierte Wahrnehmung (nicht nur) dieser Bevölkerungsgruppe gelesen werden, auch wenn Mayr selbst in ihrem Text immer wieder der (wahrscheinlich zutiefst menschlichen) Tendenz zur Pauschalisierung unterliegt. 

Ausgangspunkt aber nicht Fokus ihrer Ausführungen sind ihre eigenen Gefühle, die sie in unterschiedlichen Situationen – aber immer im Zusammenhang mit ihrer Rolle als „Aufsteigerin“ – überkommen (haben). So schreibt sie über die Traurigkeit und die Angst, die sie als Kind empfunden hat, wenn ihre Eltern nicht genug Geld für einen Schulausflug oder neue Sportkleidung hatten; sie schreibt über das Unbehagen, das sie nun als Erwachsene manchmal überkommt, wenn sie sich weder in der Welt ihrer Kindheit – die Wohnung ihrer Eltern im Plattenbau – noch in der Welt des wohlhabenden Bildungsbürgertums, in die sie „aufgestiegen“ ist, zuhause fühlt; und sie schreibt über die Wut, die manche verallgemeinerten Annahmen und Vorurteile über das Milieu ihrer Eltern in ihr aufkommen lassen.

Im Zusammenhang mit diesem Blog und der damit verbundene Lehrveranstaltung ergibt sich daraus für mich die Frage, was Schule und Unterricht dazu beitragen können, dass Menschen mit einer ähnlichen Lebensgeschichte wie Anna Mayr zumindest ein Teil dieser negativen Gefühle erspart bleiben. Dabei können die Haltung und die Einstellung, die Schüler*innen in der Schule vermittelt bzw. vorgelebt bekommen, gewiss ihren Teil dazu beitragen, dass die Erfahrung der Ausgrenzung aufgrund einer anderen – von der Gesellschaft allgemein als schlechter wahrgenommenen – sozialen Herkunft und das damit verbundene fehlende Gefühl der Zugehörigkeit möglichst klein gehalten wird. Allerdings sind für einen Ausgleich sozialer Ungleichheiten in der Schule auch und vor allem finanzielle Mittel nötig. Wenn es einem Kind nämlich, wie von Mayr beschrieben, nicht möglich ist, an einem Schulausflug teilzunehmen, weil die Familie das Geld dafür nicht aufbringen kann, hilft keine noch so unvoreingenommene und aufgeschlossene Haltung gegen die Ausgrenzung von einer gemeinsamen Erfahrung im Klassenverband. Dasselbe gilt für das zweite Beispiel, das im Text angeführt wird: Kann man sich kein passendes Sportgewand leisten, setzt man sich dadurch unfreiwillig rein optisch von seinen Klassenkamerad*innen ab, was in einem Alter, in dem der Turnunterricht für manche aufgrund von körperlichen Veränderungen ohnehin schon keine ganz unproblematische Angelegenheit ist, eine weitere psychische Belastung für eine*n Schüler*in darstellt.

Im Angesicht solcher Probleme kann eine einzelne Lehrperson allein wenig ausrichten. Da sind Klassen- und Schulgemeinschaft, Gesellschaft und Politik gefragt. Allerdings ist leider festzustellen, dass gerade in der Politik dem Voranbringen parteipolitischer Projekte höhere Priorität eingeräumt wird als der tatsächlichen Unterstützung von sozial schwächeren Kindern. Das zeigt sich beispielsweise auch in einem Interview, das die Tageszeitung Der Standard 2016 mit dem Bildungswissenschafter Stefan Hopann geführt hat. Darin geht es um die Bestrebungen der damaligen Unterrichtsministerin die Ganztagsschule in Österreich auszubauen, um der Benachteiligung sozial benachteiligter Schüler*innen entgegenzuwirken. Hopmann, der damals auch als Berater von der Regierung herangezogen worden war, kritisierte dieses Vorhaben als „hinausgeworfenes Geld“. Denn auf seinen Einwand, dass das Modell der Ganztagsschule allein nichts zur Chancengleichheit von Kindern aus sozial schwächeren Familien beitrage, vielmehr in die gezielte Einstellung von mehr pädagogischen Fachkräften investiert werden solle – was sich laut Hopmann aus empirischer Sicht viel eher zur Unterstützung dieser Schüler*innen eigne – gab ihm die damalige Unterrichtsministerin unmissverständlich zu verstehen, dass sie das nicht interessiere und dennoch daran glaube. Nun mag man zum Thema Ganztagsschule stehen, wie man will, aber wenn Politiker*innen nicht einmal gewillt sind, über Expertenmeinungen, die ihnen nicht ins Konzept passen, nachzudenken, lässt das schon an der Ernsthaftigkeit, die hinter der angeblichen Motivation steht, zweifeln.

Diesbezüglich ist also auf Politik und Staat nur wenig Verlass, zumal mit einem Wechsel der Bundesregierung auch immer der Kurs in der Bildungspolitik geändert wird. Die staatlichen Unterstützungen, die zur Verfügung stehen, sind – wie ei Blick auf die Homepage des Bildungsministeriums zeigt – zum Teil nur mit hohem bürokratischen Aufwand und dann nur eigeschränkt zugänglich. Zum Beispiel gibt es für ein- oder zweitägige Schulausflüge grundsätzlich keine finanzielle Unterstützung. Dass aber genau solche Ausflüge zu einer Belastung für Schüler*innen und deren Familien werden können, zeigt nicht nur ein Blick auf das Beispiel von Anna Mayr. Auch Ingrid Kromers Beitrag in der Fachzeitschrift Soziales Kapital (Nr. 17 (2017)) macht anhand von Aussagen interviewter Grundschullehrer*innen (vgl. S. 175f.) deutlich, dass solche Veranstaltungen und die Versorgung der Schüler*innen mit Arbeitsmaterialien oder auch mit passendem Gewand für Eltern schnell zum finanziellen Problem werden können, was dann wiederum die Ausgrenzung und Benachteiligung der betroffenen Kinder und Jugendlichen zur Folge hat, wenn nicht schul- oder klasseninterne Regelungen und Lösungen das verhindern. Vorschläge, wie solche Lösungen aussehen können, bietet sowohl Ingrid Kromers Beitrag als auch beispielsweise die Broschüre der Arbeiterkammer Oberösterreich zum Thema Schulkosten aus dem Jahr 2016 mit ihren Best-Practice-Beispielen (S. 8).      

Den meisten dieser Ansätze ist gemein, dass sie auf Schulebene stattfinden und dazu dienen Schüler*innen aus sozial benachteiligten Familien an die „Norm“ – das heißt an Schüler*innen aus einem finanziell abgesicherten Umfeld – anzupassen. Das mag zwar vordergründig helfen, einzelnen Kindern Ausgrenzungserfahrungen zu ersparen, und erfüllt damit einen wichtigen Zweck, allerdings ändert sich dabei nichts an der Tatsache, dass solche Anpassungen im Schulalltag überhaupt nötig sind. Wünschenswert wäre natürlich, dass unser System Schüler*innen, Eltern, Lehrer*innen und Schulen entlastet, indem es die Zusatzkosten, die ein Schulbesuch derzeit für alle bedeutet, verringert oder am besten ganz abschafft, sodass die Schule kein Ort mehr ist, an dem soziale Unterschiede gerade noch deutlicher gemacht werden, sondern ein Ort, an dem die Schüler*innen zumindest bis zu einem gewissen Grad vergessen können, woher sie kommen und zumindest nicht durch einem Mangel an Materialien vom Lernen und ihrer Bildung abgelenkt oder ganz ausgeschlossen werden. Einen Schritt in die richtige Richtung hat z.B. die Stadt Wien getan, die allen Pflichtschulen pro Schüler*in einen festgelegten Zuschuss ausbezahlt, der es den Schulen ermöglicht, zumindest für die Basisausstattung ihrer Schüler*innen zu sorgen (nachzulesen auf der offiziellen Homepage der Stadt Wien). Das hat zum einen den Vorteil, dass Eltern und Schüler*innen von der zeitlichen und finanziellen Belastung, die der Einkauf von Schulsachen am Schuljahresanfang bedeutet, befreit werden und zum anderen bedeutet es auch für die Lehrer*innen in den Schulen einen schnelleren und reibungsloseren Start ins Unterrichtsgeschehen, da allen Lernenden von Anfang an die notwendigen Materialien zur Verfügung stehen.

Für einen Schulbesuch in Österreich, der für dendie Einzelnen wirklich kostenlos ist, wäre es also notwendig, dass Kommunen, Länder und Staat Geld in die Hand nehmen und dieses zweckgebunden an die Schulen auszahlen. Solange das nicht der Fall ist, bleibt es weiter Sache der einzelnen Schulen, Direktorinnen und Lehrerinnen, die Ungerechtigkeiten, die in diesem System herrschen, nach Möglichkeit auszugleichen. Doch dass er es nicht schafft, seinen Kindern, die für ihre sozioökonomische Herkunft nichts können, allen einen – zumindest auf materieller Ebene – unbeschwerten Schulbesuch zu ermöglichen, ist für einen reichen Staat wie Österreich ein eindeutiges Armutszeugnis.   

(Annemarie Schaffer)

Krassimir Stojanov stellt in einem Kapitel des 2011 erschienenen Buches Bildungsgerechtigkeit die Frage, ob Schule (anhand von Leistung) selektieren darf und soll. Eine Frage, die vor allem im Deutschland – worauf sich Stojanov hauptsächlich bezieht – in Anbetracht des numerus clausus an den Universitäten gestellt werden muss. Zwar wird das Problem der beschränkten Studienplätze in Österreich anders gehandhabt und es wird nicht durch den Notendurchschnitt des (gymnasialen) Abschlusszeugnisses, sondern durch Aufnahmeprüfungen entschieden, wer einen der begehrten Plätze z.B. im Medizinstudium bekommt, aber dennoch findet auch in Österreich z.T. schon sehr früh eine Selektion bzw. eine Verteilung der Schüler*inne statt, die sich weder nach den Begabungen noch nach den Bedürfnissen der Betroffenen richtet:

Zum einen entscheiden – was Stojanov in seinem Kapitel überzeugend als nicht angemessen darlegt – die Noten im Zeugnis der vierten Klasse Volksschule darüber, ob ein Kind für ein Gymnasium geeignet ist oder ob es doch „nur“ in die Mittelschule (früher Hauptschule) gehen darf. Zum anderen spielt auch der Wohnort der Betroffenen leider keine kleine Rolle, bei der Wahl des Schulbesuchs nach der Volksschule:

Ich bin in einem relativ kleinen Dorf nur ein paar Kilometer entfernt von der nächsten Landeshauptstadt aufgewachsen. Wir haben eine eigene Volksschule, aber für den weiteren Bildungsweg müssen die Fühler über die Ortsgrenzen hinaus ausgestreckt werden. In zwei der Nachbargemeinden gibt je eine Mittelschule, das nächste (von vielen) österreichische Gymnasium ist auch nicht viel weiter entfernt und über der nahen bayrischen Grenze gibt es auch noch eines. Die Wahl scheint also frei zu sein. So einfach ist es aber leider nicht. Als ich in der vierten Klasse Volksschule war, machten wir mit unserer Klassenlehrerin Ausflüge in die beiden oben erwähnten (damals noch) Hauptschulen. Sich über die vielen, mit dem Bus genauso gut erreichbaren Gymnasien zu informieren, lag in der Eigenverantwortung der Schüler*innen bzw. deren Eltern. Für Kinder, deren Eltern – aus welchen Gründen auch immer – keinen gesonderten Wert auf den Besuch eines Gymnasiums legten, stand ein Großteil ihrer theoretischen Möglichkeiten nicht einmal zur Debatte.

Grundsätzlich muss ein Besuch der Haupt- bzw. Mittelschule ja noch nicht heißen, dass der Bildungsweg nach der Sekundarstufe I abgeschlossen sein muss, da ja theoretisch der Übertritt in die Oberstufe eines Gymnasiums auch von dort aus möglich ist. Allerdings hat kaum jemand meiner ehemaligen Volksschulkolleg*innen, der*die nicht von vorneherein ein Gymnasium besucht hat, diesen Weg beschritten.

Ich selbst hatte das Glück, dass meine Eltern – in Kenntnis meiner Interessen und Begabungen – mich dazu ermutigten, die Aufnahmeprüfung in ein Gymnasium mit musischem Schwerpunkt zu versuchen. Anders als bei anderen Gymnasien spielten dort die Noten im Volksschulzeugnis für die Aufnahme eine eher untergeordnete Rolle. Eine schlechtere Note als ein ‚Befriedigend‘ sollte zwar dennoch nicht aufscheinen, aber wenn man bedenkt, dass zu dieser Zeit in anderen vergleichbaren Schulen ein ‚Gut‘ zu viel ein Ausschlusskriterium sein konnte, ist das doch bemerkenswert. Die Aufnahmeprüfung als solche war durchaus fordernd. Sie dauerte mehrere Tage und wir wurden auf unsere Eignung – nicht auf erlerntes Wissen! –  in den vier Säulen, auf denen die Schule aufbaute (Musik, Tanz, bildende Kunst, kreatives Schreiben), getestet. Allerdings passierte das auf eine durchwegs wertschätzende, freundliche und für uns auch lustige Weise, dass sogar ich, die ich ein recht schüchternes und nervöses Kind war, mit der Zeit die durch die Prüfungssituation erzeugte Anspannung vergaß.     

Die Form der Selektion, die diese Aufnahmeprüfung darstellt, war für mich auch schon in diesem jungen Alter von großem Vorteil. Ich konnte dadurch acht Jahre meiner Schulzeit in einem Umfeld verbringen, das mich in meinen Interessen und Begabungen und damit auch in meiner Persönlichkeit und meinem Selbstbewusstsein bestärkte und weiterbildete – und das bei Weitem nicht nur in den musischen Hauptfächern, sondern auch in all den „normalen“ Fächern, die eben zu einer gymnasialen Bildung dazu gehören. Dass dieses Konzept durchaus ein erfolgreiches ist, zeigt nicht nur die vergleichsweise geringe Drop-Out-Quote (in den acht Jahren, die ich an dieser Schule war, kann ich mich nicht erinnern, dass jemals zwei Klassen aufgrund einer zu geringen Anzahl an Schüler*innen zusammengelegt werden mussten), sondern auch die große Bandbreite an Karrierewegen, die allein die Kolleg*innen aus meinem Maturajahrgang eingeschlagen haben. Klar, einige blieben ihrem musischen Schwerpunkt treu und wurden Musiker*in, Schriftsteller*in, Tänzer*in oder Schauspieler*in. Andere aber schlugen ihren ganz eigenen Weg ein und gingen in die Medizin, in die Biochemie, ins Lehramt, wurden Physiotherapeut*in oder Dolmetscher*in. Das zeigt mir, dass diese Selektion nach natürlichen Begabungen (und nicht nach Leistung) zu einer freien Entwicklung der Persönlichkeit und damit zur Fähigkeit, den für sich passenden Weg zu finden, führen kann.

Natürlich besteht auch hier weiter das oben schon angeschnittene Problem der lokalen/familiären Herkunft. Kindern muss die Chance gegeben werden, die Möglichkeiten, aus denen sie wählen können, zu kennen. Da diese Chance nicht allen von Elternseite her gegeben werden kann, läge es zunächst an den Volksschulen und am Ende der Sekundarstufe I an den Mittelschulen und auch an den Gymnasien, umfassend zu informieren. Dabei wäre es schön, wenn den Schulen bzw. Eltern und Schüler*innen Hilfsmittel vergleichbar mit denen zur Berufswahl (online-Interessentests, Berufsinformationsmessen u.ä.)  an die Hand gegeben würden, die den Blick auf die mögliche schulische Laufbahn einerseits weiten und andererseits schärfen.

Der Forderung Stojanovs, dass Selektion keinesfalls aufgrund von Schulnoten passieren und der Fokus unabhängig von irgendwelchen wirtschaftlichen Faktoren vielmehr auf die Interessen, Begabungen und Bedürfnisse der Schülerinnen gesetzt werden soll, stimme ich also aufgrund meiner eigenen Erfahrung völlig zu. Seine Ansicht, dass Selektion frühestens bei 14-jährigen vorgenommen werden sollte, kann ich allerdings nicht teilen. Auch 10-jährige haben schon Interessen und Begabungen, die in einem darauf ausgelegten Umfeld gefördert werden sollten. Die Problematik, die auch Stojanov anspricht, dass Schülerinnen in diesem Altern nicht bzw. nur sehr eingeschränkt entscheidungsfähig sind, darf allerdings auch nicht ignoriert werden. Deswegen halte ich es für wichtig, dass den Schüler*innen sowohl nach der Volksschule als auch nach der Sekundarstufe I die Chance geboten wird, eine informierte Wahl zu treffen. Denn der Weg, den man mit zehn Jahren einschlägt, muss mit 14 Jahren (oder später) nicht derselbe sein und bleiben.

Abschließend möchte ich hier noch darauf hinweisen, dass beim Zusammenhang von Selektion und Schule eine Anpassung der Perspektive nicht schaden würde: Schüler*innen sollten nicht nur als Objekte – d.h. die Selektierten – des Selektionsprozesses angesehen und behandelt werden, sondern auch (zumindest in gleichem Maße) als Subjekte – also Selektierende, die den für sich am besten geeigneten (Schul-)Weg auswählen.        

Ausgehend von drei Kapiteln des Beitrags Österreich von Ferdinand Eder und Josef Thonhauser in Die Bildungssysteme Europas (Grundlagen der Schulpädagogik, Band 46) hat uns in den vergangenen Wochen das Thema Veränderung im Kontext von Schule und Schulsystem beschäftigt. Dabei haben wir uns sowohl Veränderungen in der Vergangenheit, die zum heutigen Ist-Zustand geführt haben, angesehen, als auch Überlegungen angestellt, welche Veränderungen nun passieren müssten und wie wir als angehende Lehrer*innen dazu beitragen können, dass die Schule und das Schulsystem der Zukunft funktionieren kann.

 

Veränderung und Nicht-Veränderung im historischen Kontext

(Annemarie Schaffer)

Das öffentliche österreichische Schulsystem und seine Entwicklung befinden sich seit seiner Entstehung im 18. Jahrhundert in einem Spannungsfeld zwischen – wie es Ferdinand Eder und Josef Thonhauser ausrücken – „progressiven Ideen“ und „konservative[m] bis reaktionäre[m] Festhalten am jeweiligen Status quo“. Dass das Veränderungen und Anpassungen am System erschwert und manchmal sogar verunmöglicht, ist leicht nachzuvollziehen.

Was 1770 eine wichtige und notwendige Neuerung war – nämlich, dass das Schulwesen zur Staatsangelegenheit wurde – erweist sich heutzutage oft eher als Bremsklotz für eine sinnvolle Entwicklung. Denn das von Kaiserin Maria Theresia erlassene Dekret, das Schule „allzeit [zu] ein[em] Politikum“ erklärte, mag damals die Kirche als Bildungsträger obsolet und Bildung allgemein zugänglicher gemacht haben; heute aber dient das Politikum Schule oft als Bühne oder Projektionsfläche parteipolitischer Machtkämpfe, wobei ein unvoreingenommenes Nachdenken über Nutzen und Sinn für das Schulsystem außen vor bleibt. Ein gleichzeitig präsentes und langgedientes Beispiel dafür ist die Diskussion um die Gesamtschule. Die Idee ist absolut keine neue, wie es auch ein Überblicksartikel auf der Website des Radiosenders Ö1 zeigt: Schon im 17. fordert der protestantische Theologe und Pädagoge Johann Amos Comenius eine allumfassende Bildung für alle Menschen unabhängig von ihrer sozialen Stellung. In Österreich war es 1848 der Unterstaatssekretär Ernst Freiherr von Feuchtersleben, der als erster für alle Kinder zwischen elf und 14 Jahren eine gemeinsame Schule, das Progymnasium, wollte. Doch erste Versuche in diese Richtung gab es erst im rot regierten Wien der 1920er unter dem Schulratspräsidenten Otto Glöckel. Diese stießen jedoch auf breiten Widerstand und die Idee der Gesamtschule wurde zum Inhalt parteipolitischen Lagerdenkens – und ist es bis heute geblieben. Zuletzt machte sich das – wie in einem Beitrag der Tageszeitung Die Presse nachzulesen – 2017 im Zuge der damaligen Bildungsreform bemerkbar: Sozusagen als Zuckerl für die Grünen, die die damalige rot-schwarze Regierung für eine beschlussfähige Mehrheit brauchte, öffnete der damalige Gesetzesentwurf „die Tür für die Gesamtschule“ – zwar nur für Modellregionen im Burgenland und in Vorarlberg, aber immerhin. Dass dabei aber eben nicht pädagogische Überlegungen ausschlaggebend waren, sondern die Jagd nach einer Mehrheit im Parlament, ist offensichtlich und wird noch klarer im Zusammenhang mit der Aussage des damaligen Vizekanzlers Wolfgang Brandstetter (ÖVP), dass nun, die SPÖ bei der Studienplatzfinanzierung am Zug sei. Themen wie die Ganztagsschule oder die Studienplatzfinanzierung bedeuten zum Teil weitreichende Veränderungen für Schüler*innen und Studierende und sollten deshalb eigentlich nicht Gegenstände von parteipolitischem quid pro quo sein. Dass sich aber dahingehend in Österreich etwas verändert, ist unwahrscheinlich, denn Schule ist und bleibt „allzeit ein Politikum“.

Dabei fällt es den streitenden Parteien auch nicht auf, dass – um beim Beispiel der Gesamtschule zu bleiben – ihr „Streitgegenstand historisch tot ist“, wie es der Bildungsexperte Stefan Hopmann (zitiert im oben verlinkten Ö1 Artikel) ausdrückt. Denn „beide Seiten sitzen“, so Hopmann, „im Prinzip immer noch im selben Schützengraben; Die eine kämpft noch immer darum, eine gleichberechtigte Beteiligung an der Struktur der anderen zu bekommen, und die andere reagiert strukturkonservativ und sagt: Nein, wir wollen aber nicht zu viele von euch.“ Dabei sei es laut Erkenntnissen der Bildungsforschung klar, dass oberflächliche Änderungen – das heißt der Name oder das Label einer Schule – an der Situation nichts verändern. Das erläutert der Bildungsexperte folgendermaßen: „Eine wirkliche Änderung wäre ja nur dann gegeben, wenn wir tatsächlich bereit wären, denen, die weniger Bildungsressourcen zuhause haben, mehr in der Schule zu geben. Also produktive Ungleichbehandlung. Ob ich die jetzt in einer Gesamtschule mache wie die Skandinavier oder in vielen verschieden Schulformaten wie die Kanadier oder Holländer, ist egal. Die Frage ist: Bin ich bereit zur produktiven Ungleichbehandlung? Und die ist politisch schwer durchsetzbar.“

Das heißt also: Änderungen und Nicht-Änderungen im und am Schulsystem werden in Österreich wohl immer (partei-)politisch motiviert sein. Dass es dabei zu tiefenstrukturellen zeitgemäßen Änderungen kommt, scheint unwahrscheinlich, wenn man betrachtet, wie ähnlich das heutige Schulsystem dem von vor 200 Jahren in manchen Bereichen noch ist. Die meist oberflächlichen Änderungen können leicht im politischen Hick-Hack der Parteien verlorengehen oder bei einem Wechsel der Regierungsparteien wieder rückgängig gemacht werden. Als Lehrperson befindet man sich damit in einem an sich recht starren System, das aber häufig seinen Anschein wechselt. In diesem Rahmen gilt es nun, den Schüler*innen abseits von politisch motivierter Einflussnahme und in jedem von außen aufgedrückten System die bestmögliche zeitgemäße Bildung angedeihen zu lassen, damit sie in einer sich stetig verändernden Welt Fuß fassen können. So kann (sinnvolle) Änderung von innen heraus entstehen.     

 

Schulpflicht? (Samir Eghbali)

Bei Ferdinand Eder und Josef Thonhauser ist die Schulpflicht als Teil der Struktur des Bildungssystems gelistet. Sie beschreiben im dritten Kapitel, wie das österreichische Schulsystem aufgebaut ist:  vom Elementarbereich über die Sonderformen im Schulsystem bis hin zum tertiären Bildungsbereich, welcher Bildungseinrichtungen wie Hochschulen und Universitäten umfasst.

In meinem Beitrag möchte ich das Werkzeug der Schulpflicht näher betrachten und welches Problem ich dabei sehe. Das österreichische Schulsystem besteht wie z.B. das deutsche auch aus 9 Jahren Schulpflicht für alle, die sich dauernd in Österreich aufhalten. Ein wichtiger Punkt, der in einer Pandemie-Zeit (aktuell Corona) nach meiner Ansicht schwer durchzusetzen ist. Denn was bedeutet eigentlich Schulpflicht? Wird die Schulpflicht allein durch die Anwesenheit im Unterricht erfüllt oder zählen auch Mitarbeit und gute Noten? Wie überprüft man die Schulpflicht in einer Zeit, die geprägt ist von Home-Office, Homeschooling und E-Learning? Welche/r Lehrer/in kann bemerken, wenn der/die bereits im Präsenzunterricht stille Schüler/in im Online-Unterricht ebenso still ist und statt zu lernen und aufmerksam der Lehrkraft zu folgen ganz einfach seinen Hobbys nachgeht. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es auch trotz einer zugeschalteten Kamera viele Möglichkeiten gibt, sich anderweitig zu beschäftigen. Und genau da kommt die Schulpflicht meines Erachtens an ihre Grenze. Man kann den Kopf von SuS zwar in die Schule zwingen, jedoch nicht die Schule in die Köpfe der SuS.

Was also tun? Die SuS aufgeben, die sich nicht integrieren? Den Gründen aus dem Weg gehen, weshalb SuS nicht in die Schule wollen, wieso sie sich weigern, mitzuarbeiten. Fast jede/r SuS war einmal in der Situation, keine Lust mehr gehabt zu haben, die Schule als überflüssig empfunden zu haben oder einfach geschwänzt zu haben, weil man etwas anderes tun wollte. Anstatt jedoch nach den Gründen gefragt zu werden, wurde man häufig nur abgemahnt, in Form von schlechten Noten, einem Vermerk im Zeugnis, einem Gespräch mit den Eltern oder im schlimmsten Fall einem Verweis.

Meiner Ansicht nach sollte, anstatt die SuS einfach nur in die Schule „zu zwingen“, den Beweggründen, wieso sie nicht gehen wollen, mehr Beachtung geschenkt werden. Natürlich zweifle ich nicht an der Zweckmäßigkeit der Schulpflicht, denn sie ist schon ein bewährtes Instrument, SuS nicht nur die Möglichkeit von Bildung zu geben, sondern diese Möglichkeit auch für jede Person, die in Österreich lebt, verbindlich zu machen. Allerdings sehe ich auch einen Weg zu einer besseren Bildung darin, es zu schaffen, dass SuS aus Einsicht oder idealerweise aus positiver Motivation heraus von sich aus zur Schule gehen wollen und nicht nur, weil sie durch die Schulpflicht dazu gezwungen werden.

 

Wann platzt die Blase des österreichischen Schulsystems?

(Denise Zacherl)

Dass das österreichische Schulsystem mit vielen Problemen zu kämpfen hat, ist definitiv nichts Neues. In der PISA- Studie fallen wir von Jahr zu Jahr immer weiter zurück, was daher auch nicht überraschend kommt. Doch woran liegt das? Wieso wird es für die meisten Schüler und Schülerinnen immer schwieriger, gute Noten nach Hause zu bringen, anstatt leichter? Mit dem heutigen Überfluss an Bildungsangeboten müsste doch für jedes Kind das passende dabei sein.

Das Schulsystem in Österreich ist geprägt von fortlaufenden Veränderungen. Von neuen Lehrplänen, besseren pädagogischen Methoden oder Modellen bis hin zur neuen bundesweiten Zentralmatura. Es wird versucht, alles neu, anders und vor allem kompetenzorientierter zu gestalten. Die Kinder sollten mehr lernen, mehr Wissen aneignen und vor allem mehr leisten. Aufgrund dieser andauernden Erneuerungen sowie Veränderungen werden die Schüler und Schülerinnen immer wieder vor neue Aufgaben gestellt.

Doch Veränderung heißt nicht automatisch gut. Diejenigen, die es am meisten betrifft, werden dabei meist übersehen. Nämlich die Schüler und Schülerinnen! Für diese heißt neu und mehr nicht immer besser, sondern viel mehr Stress, weniger Freizeit und ein viel zu hoher Druck lastet auf ihnen, denn sie müssen natürlich mit den Erneuerungen mithalten. Als Beispiel führe ich an dieser Stelle die bundesweite Zentralmatura an. Ich selbst habe vor 2 Jahren maturiert und habe diese Erfahrung miterlebt. Die Zentralmatura wurde uns vorgestellt als tolle neue Möglichkeit, unseren Abschluss zu machen.

Aber was hat das für uns bzw. für die heutigen Schüler/innen für Auswirkungen? Selbstverständlich erfordert eine neue Matura auch neue Grundkompetenzen, neue Lernmethoden und vor allem: eine neue Benotung. Dies war die größte Hürde, sowohl für unsere Klasse als auch für unsere Lehrpersonen. Denn diese konnten uns in den meisten Unterrichtsfächern nicht mehr so benoten wie früher, mussten sich strikt an die Vorgaben halten und es gab fast ausschließlich neue Aufgabenformate. Natürlich hat die Zentralmatura auch gewisse Vorteile, wie z.B., dass alle Absolvent/innen einer höheren Schule die gleichen Voraussetzungen nach ihrem Abschluss mitbringen. Meiner Meinung nach überwiegen hier jedoch ganz klar die Nachteile und speziell für die Schüler/innen selbst stellt es eine klare Veränderung ins Negative dar. Wie auch von Eder und Thonhauser in ihrem Text „Österreich“ beschrieben, wird der Abschluss dadurch eher objektiv angesehen und die individuellen Stärken der Schüler und Schülerinnen gehen damit verloren.

Das eben angesprochene Thema ist jedoch nur eine von insgesamt vier großen Problematiken, mit welchem das österreichische Schulsystem laut Eder und Thonhauser heutzutage zu kämpfen hat. Eine weitere große Hürde im Schulsystem bildet zudem der Übergang zwischen der allgemeinen Volksschule und der nächsthöheren Schulstufe. Hierbei hat ein/e Schüler/in zwei Möglichkeiten, entweder das Kind schafft es anhand ihrer schulischen Leistungen in eine AHS oder muss sich mit der Mittelschule zufriedengeben. Doch warum habe ich eben die Wörter „schaffen“ und „zufriedengeben“ im Zusammenhang mit Schulen benutzt? In unserer heutigen Gesellschaft hat sich das Gesamtbild einer AHS und einer Mittelschule (ehemals Hauptschule) so stark gewandelt, dass die AHS fast als „Elite Schule“ angesehen wird. Sozusagen nur noch für die „Besseren“ vorbehalten. Jedes Kind, welches die gewissen schulischen Voraussetzungen für die Aufnahme nicht erfüllt, hat keine andere Wahl als die Mittelschule. Durch diese Tatsache wird die Mittelschule automatisch – ob gewollt oder nicht – zu etwas schlechterem gemacht. Jegliche Versuche, die Mittelschule attraktiver und interessanter zu gestalten, blieben bislang erfolgslos.

Was hat sich allerdings so stark geändert, dass Eltern ihre Kinder lieber in einer AHS unterbringen wollen, ohne auf deren individuellen Förderungsbedarf Rücksicht zu nehmen? In diesem Punkt fließen bereits die nächsten zwei großen Problematiken mit ein, nämlich der Umgang mit besonderen Förderungen sowie die Maßnahmen von Schüler und Schülerinnen mit Migrationshintergrund.

Erstens wollen es viele Eltern schlicht und einfach nicht wahrhaben, dass ihr Kind mit dem Lehrplan einer AHS eventuell nicht mithalten kann und eine spezielle Unterstützung benötigen würde. Sie ignorieren die Tatsache, dass genau ihr Kind den schulischen Anforderungen nicht gewachsen ist. Obwohl es mittlerweile bekannt ist, dass die Mittelschule mehr Förderungen anbietet, bzw. mehr auf die individuellen Bedürfnisse der Kinder einzugehen versucht, auch weil mehr als eine Lehrkraft die Unterrichtsstunden betreut, überzeugen diese Argumente die meisten Eltern leider nicht. Zweitens werden auch öfters Kinder mit Migrationshintergrund als Einflussfaktor angesehen, das Kind lieber in eine AHS zu schicken. Die meisten Personen assoziieren Kinder mit anderer Herkunft sofort mit schlechten Deutschkenntnissen, schlechteren Leistungen und noch schlechteren Noten. Dies wird auch von der Hypothese gestärkt, dass solche Kinder in der Regel eine Mittelschule besuchen. Leider wird auch hier übersehen, dass die Herkunft allein nichts über die Intelligenz, bzw. die Fähigkeit oder dem Willen zur Leistung aussagt. Vielmehr erachte ich es als sehr wichtig, diesen Schülern und Schülerinnen die gleichen Chancen zu ermöglichen, um sie dadurch besser zu integrieren und zu fördern. Hierbei ist es auch wichtig, das Elternhaus mit einzubeziehen. Denn ohne Unterstützung zu Hause ist es für Kinder nochmals ein Stück schwerer. Doch auch hier mangelt es leider an Verständnis und auch am Willen der österreichischen Eltern.

Für mich als angehende Lehrperson heißt dies nun, in Zukunft selbst aktiv zu werden, um nicht nur meine Schüler/innen in den verschiedensten Bereichen zu unterstützen, sondern auch, dem negativen Image der Mittelschule entschieden entgegenzutreten.

 

COVID-19 – Die Pandemie als (zusätzliches) Problem des Schulsystems

(Nicole Balasoiu)

Derzeit ist schon lange bekannt, dass das österreichische Schulsystem gewisse Probleme in sich trägt, die jedoch verschiedene Wurzeln haben. Auch bei den PISA-Studien werden die Ergebnisse schlechter und schlechter. Doch warum? Das österreichische Schulsystem ist bemüht, den Schüler und Schülerinnen mit Migrationshintergrund genug Integration anzubieten. Auch für Lehrpersonen gibt es immer mehr Möglichkeiten für Weiter- und Fortbildungen. Es gibt überzentrale Veränderungen wie zum Beispiel die Zentralmatura oder die Lehrpläne, die trotzdem die Probleme nicht ganz verhindern.

Denise Zacherl hat im vorigen Absatz die Probleme behandelt, sie ausdiskutiert und das wichtigste schon erwähnt.

Hinzugefügt werden kann noch die Tatsache, dass heutzutage, in der aktuellen Covid-19-Situation, in der alle Schüler und Schülerinnen gefangen sind, Probleme dazukommen. Der Stress, der sie verfolgt, ist noch immer präsent. Sie erhalten Aufgaben und Hausübungen, müssen sich teils selbst den Schulstoff beibringen und haben dabei oft keine Unterstützung von einer Lehrperson. Der Druck wird größer. Falls die Eltern arbeitstätig sind und sich nicht zu Hause befinden, können nicht einmal sie eine Unterstützung sein.

Jede Schule und jede Schulstufe vereinbart schulintern, wie sie die Situation bewältigen, ob sie Online-Stunden organisieren, zusätzliche Hilfe und Erklärungen von der lehrenden Person anbieten oder ob sich die Schüler und Schülerinnen allein mit dem Stoff auseinandersetzen und die Aufgaben erledigen sollen. Doch müssten die Schüler und Schülerinnen nicht prioritär sein? Viele fühlen sich im Stich gelassen. Der soziale Kontakt, der ihnen fehlt, trägt dazu bei, dass sich die Situation auf sie noch anstrengender auswirkt. Dazu kommt noch, dass nicht alle Kinder die gleichen Chancen im Distance Learning haben. Damit werden die sozialen Ungleichheiten verstärkt. Am meisten betroffen sind die Kinder aus sozial schwächeren Haushalten. Daher ist auch hier eine Veränderung nötig. Platz dafür gibt es genug.

Als zukünftige Lehrperson nehme ich mir vor, selbst auch aktiv zu werden und meinen Schülern und Schülerinnen eine passende Unterstützung und Hilfe zu sein. Eine passende und engagierte Lehrperson kann in vielen Hinsichten ein Beispiel für die Kinder sein. Daher ist es wichtig, persönliche Haltung und Verhalten zu ändern, bevor man versucht die Schüler und Schülerinnen zu ändern.

von Johanna Stögermayr

Die Autorin Melisa Erkurt schreibt in ihrem Kapitel „Warum können Sie so gut Deutsch“ über ihre Erfahrungen, mit welchen sie als „Ausländer-Kind“ zu kämpfen hatte. Sie ist eines der vielen positiven Beispiele von gelungener Integration. Gelungen, weil sie in einer Integrationsklasse mit bemühten PädagogInnen war, in der sie von den anderen SchülerInnen lernen und so genügend Selbstvertrauen aufbauen konnte.

Jedoch ist es leider häufig so, dass Kinder mit Migrationshintergrund in eine eigene „Deutschklasse“ kommen. Das hat den Nachteil, dass die Kinder untereinander entweder nicht deutsch sprechen oder nur „fehlerhaftes“ Deutsch hören bzw. sprechen lernen. Weiters ist es für die SchülerInnen schwieriger Freundschaften mit „heimischen“ SchülerInnen zu knüpfen, oder eine eigene Identität zu entwickeln, da sie durch die „Deutschklassen“ das Gefühl bekommen anders zu sein. Aus diesem Grund fällt es ihnen auch schwer sich später in der Gesellschaft zu integrieren, da sie es nicht anders gelernt haben.

Daher ist es als Lehrperson besonders wichtig SchülerInnen mit Migrationshintergrund in einer Integrationsklasse zu unterstützen und ihnen zu zeigen, dass sie genauso besonders sind wie alle anderen SchülerInnen in der Klasse. Von Anfang an sind Sprache, Herkunft, Vergangenheit und der kultureller Hintergrund anders als von den anderen. Erkurt erzählt davon, dass ihre KindergartenpädagogInnen sie nie spüren ließen anders zu sein, wofür sie ihnen bis heute dankbar ist. Aus diesem Grund müssen auch wir in der Sekundarstufe 1 und 2 die SchülerInnen so gut es geht unterstützen, indem wir im Unterricht auf die Mehrsprachigkeit eingehen anstatt sie zu diskriminieren oder ihnen verbieten in ihrer Sprache zu sprechen.

Für uns als Lehrpersonen sollte es normal sein den SchülerInnen zu zeigen, dass sie auf ihre Muttersprache stolz sein können, denn nur so können sie sich auf eine neue Sprache, Kultur und somit auf ein neues Leben einlassen. Werden sie jedoch im Gegensatz dazu nur diskriminiert, würde es kein Mensch schaffen sich auf „Schulzeug“ zu konzentrieren.

Hier zwei Beispiele, wie man die Mehrsprachigkeit von SchülerInnen und zugleich auch alle SchülerInnen im Unterricht integrieren kann.

  • Eine kurze Geschichte übersetzen:

Im Unterricht wird eine Geschichte erzählt und als Hausaufgabe sollten die SchülerInnen die Geschichte so erzählen, als würden sie es einem Freund erzählen. Dabei dürfen sie ihre Umgangssprache (Mundart oder andere Muttersprache) verwenden. Am nächsten Tag werden die Geschichten vor der Klasse in den verschiedenen Sprachen vorgetragen. Anschließend kann darüber gesprochen werden, wie die Sprache auf die SchülerInnen gewirkt hat. War sie schnell, langsam, flüssig oder eher stockend? Woran könnte das liegen? Hört sich die Sprache von zwei SchülerInnen mit der gleichen Muttersprache unterschiedlich an und woran könnte das liegen?

  • Sportunterricht: jeder zählt auf einer anderen Sprache bis zehn:

Die SchülerInnen müssen herausfinden, wie viele Sprachen sie insgesamt in der Klasse sprechen können. Dann wird eine Übung ausgewählt, wie z.B. Sit-ups, Liegestütz. Jede Übung wird zehnmal gemacht und ein/e Schüler/in zählt in einer anderen Sprache als Deutsch und die anderen sprechen ihm/ihr während den Übungen laut nach. Das kann auch dabei helfen, dass die SchülerInnen sich mit ihrer Sprache und Herkunft identifizieren können und es cool ist einen andere Sprache zu sprechen.

Mein Appell an die Politik und LehrerInnen lautet, dass es keine „Deutschklassen“ mehr geben sollte. Stattdessen sollten alle SchülerInnen gemeinsam in eine Klasse sein und am selben Gegenstand arbeiten.