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Umgang mit Diversität im Unterricht
Umgang mit Schüler/innen mit Deutsch als Zweitsprache

Aus dem Nationalen Bildungsbericht (2018) ging hervor, dass 62 % der SchülerInnen die Bildungsstandards im Leseverständnis nicht erreichen, ebenso wiesen mehr als die Hälfte bei der Textproduktion mangelhafte Fähigkeiten auf. Im Vergleich kommen deutlich mehr SchülerInnen, die in Schulen mit sehr hoher sozialer Benachteiligung zur Schule gehen, nicht oder nur teilweise an die Bildungsstandards heran (zusammen 64 %) als jene in Schulen mit geringer (32 %) oder mittlerer sozialer Benachteiligung (41 %) (vgl. Nationaler Bildungsbericht, 2018, S. 224). Oftmals werden diese alarmierenden Zahlen mit dem Vorhandensein eines Migrationshintergrundes in Verbindung gebracht, zudem wird die sozioökonomische Herkunft immer öfter als ausschlaggebender Faktor für niedrige Bildungsstandards genannt.

So beschreiben Salchegger und Herzog-Punzenberger (2016) anhand ihrer Vergleichsstudie im deutschsprachigen Raum (Deutschland, Schweiz, Österreich), dass sich die Lesekompetenz besonders dort für SchülerInnen mit Migrationshintergrund gesteigert haben, bei denen sich auch der Sozialstatus verbessert hat. Konkrete Zahlen dazu ermittelten Angelone und Keller (2014) in der Schweiz durch eine Zusatzstichprobe von PISA, wobei 30% der Leistungsverbesserungen von SchülerInnen mit einem anderen Geburtsland als der Schweiz, auf die Aufwertung ihres Sozialstatus zurückzuführen waren (vgl. zitiert nach Salchegger & Herzog-Punzenberger, 2016, S.82). Trotzdem schneiden Kinder ohne Migrationshintergrund im Durchschnitt deutlich besser ab als Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund. „Laut PISA 2018 lag der Nachteil im Leseverständnis von Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Österreich im unteren Drittel der analysierten 26 Vergleichsländer (EU-/OECD-Staaten).“ (Rechnungshof, 2020, S. 25). Außerdem sind die Kontextfaktoren Geschlecht, sozialer Status und Migrationshintergrund genannt, anhand derer sichtbar wird, dass Jungen deutlich schlechter abschneiden als Mädchen und die Bildungsstandards der Eltern ebenso entscheidend sind für die Lesekompetenz (siehe Abbildung 3, RH, 2020, S. 26).

Obwohl es belegt ist, dass man eine Sprache besser lernt, wenn man sie ständig hört oder spricht, wurde in Österreich ein Messinstrument zur Kompetenzanalyse in Deutsch, kurz MIKA- D- Test, eingeführt. Wissen Sie was das ist? Wohl kaum, wenn sie nicht Deutsch als Zweitsprache haben. Laut der Österreichischen Lehrer/innen Initiative “[…] ist es der Regierung gelungen, dieses gelöste Problem in eine unlösbare Situation zu verwandeln” (oeliug.at)  Bei diesem Test geht es um jene SchülerInnen, die Deutsch nicht als Muttersprache haben. Anhand des Tests soll ermittelt werden, “ob Schüler/innen ausreichende Kenntnisse in der Unterrichtssprache Deutsch erworben haben, um dem Unterricht folgen zu können” (Institut des Bundes für Qualitätssicherung im österreichischen Schulwesen). Vor allem wird dieser Test in der Primarstufe verwendet. Stellen Sie sich also diese Situation vor: Ein fünfjähriges Kind, welches sehr zurückhaltend, introvertiert und schüchtern ist,  muss sich ohne Elternteil unter fremden Personen diesem MIKA-D Test unterziehen. Wie könnte dieser Test ausfallen? Vermutlich negativ. So bleibt man außerordentliche(r) Schüler oder Schülerin und kann nicht in die nächste Schulstufe vorrücken, solange bis er positiv ausfällt. Die erste Klasse kann man dreimal als außerordentliche(r) besuchen. Außerdem kommen sie dann in sogenannte Deutschförderklasse. Diese Klassen bestehen also nur aus Schüler und Schülerinnen die kein oder kaum Deutsch können.  Wie sollen diese Kinder Deutsch richtig erlernen, wenn sie nicht mal untereinander dieselbe Sprache sprechen können? 

In Österreich haben ein Viertel der Schüler und Schülerinnen Deutsch nicht als Muttersprache und diese Zahl wächst stetig (Statistisches Taschenbuch – Schule und Erwachsenenbildung 2018). Viele Familien verlassen ihre Heimat aufgrund mangelnder Sicherheit in ihrem Heimatland, wirtschaftlichen Problemen oder sonstigem, um in Österreich ein friedliches Leben zu führen. Nun können viele Schüler und Schülerinnen ihre Schullaufbahn in Österreich aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse nicht erfolgreich fortführen. Da die Lehrkräfte im Regelunterricht nicht gleichzeitig Deutsch und andere Inhalte lehren konnten, hat man eine Lösung dafür gefunden. Ab dem Schuljahr 2017/2018 hat die Regierung beschlossen Schüler und Schülerinnen mit mangelnden Deutschkenntnissen in eine Deutschförderklasse zu geben, um ihnen die Möglichkeit zu geben die Deutsche Sprache zu erlernen (Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung 2021)

Die Lehrkräfte beschweren sich oftmals, dass es viel bessere Chance gäbe, den Spracherwerb zu unterstützen und zu beschleunigen. Oftmals ist das Problem, dass in Deutschförderklassen der Fokus nur auf den Spracherwerb gelegt ist und nicht auf die Vermittlung von Inhalten. Einerseits gibt man Lernenden die Möglichkeit das benötigte Sprachniveau zu erreichen und andererseits sind sie wieder im Nachteil, weil gewisse Inhalte nicht gelehrt werden. Die fehlende Ausbildung der Lehrpersonen, die unterschiedlichen Altersgruppen und die verschiedenen Sprachniveaus erschweren den Spracherwerb in Deutschförderklasse. Für das erfolgreiche und spielerische Lernen fehlen gleichaltrige Mitschüler mit Deutsch als Muttersprache. 80 Prozent der Lehrkräfte sind für einen gemeinsamen Unterricht, weil sie diesen für sinnvoller und effizienter halten. (Kontrast Redaktion, 2020)

Das Ziel eines jeden Unterrichtes soll es sein, es den SchülerInnen zu ermöglichen, sich aktiv am Unterricht beteiligen zu können. Hierfür ist es teils notwendig, dass Kinder mit Migrationshintergrund insbesondere dann, wenn ihre sprachlichen Kompetenzen in der Zielsprache Deutsch nicht ausreichend sind, gezielte Förderungen und oder auch von der Lehrperson Unterstützung bekommen. Das primäre Ziel dieser zuvor genannten Hilfestellung soll eine schnelle Integration der Kinder ohne bzw. der Kinder mit geringen deutschen Sprachkenntnissen in den Unterricht und das Schulleben darstellen. Bereits Ergebnisse aus der Zweitsprachenerwerbsforschung und aus der Unterrichtsforschung legen nahe, dass ein flexibles, an den Lernenden orientiertes Konzept des Fremd-/Zweitsprachenunterrichts am ehesten zu einem Lernerfolg führt” und somit unabdingbar ist (Kniffka&Siebert-Ott, 2012, S.98).

Insbesondere spricht man in diesem Kontext von der Flexibilität hinsichtlich der unterschiedlichen Lernvoraussetzungen, denn Lernende bringen unterschiedliche Voraussetzungen hinsichtlich des Alters, der Muttersprache, der Bildungshintergründe und der Lernstile, mit in den Unterricht und hier ist es ganz klar die Aufgabe der Lehrperson auf die Bedürfnisse jedes Individuums einzugehen. So gehören zu den Herausforderungen der Lehrperson beispielsweise, dass unterschiedliche Schwierigkeiten beim Erwerb der deutschen Sprache unter Umständen zu einem breiteren Spektrum an individuellen Lernständen führen können. Daher kann es auch der Fall sein, dass manche SchülerInnen möglicherweise mehr Ausspracheschulung, andere SchülerInnen hingegen eher eine Rechtschreibschulung benötigen (2012, S.100)

Um Schülerinnen und Schüler im mündlichen Unterrichtsgeschehen zu unterstützen, eignet sich beispielsweise die Methode des “Scaffoldings”. Diese Methode zeichnet sich dadurch aus, dass die Unterstützung in Form eines sprachlichen Gerüsts lediglich temporär angelegt ist und der Lernende entsprechende Unterstützung bekommt, die ihn dazu befähigt, ähnliche Aufgaben auch ohne Unterstützung lösen zu können (Guadatiello&Schuler, 2018, S.26)

Wie bereits eingangs erwähnt soll ein moderner Zweitsprachenunterricht laut Guadatiello und Schuler flexibel sein und nicht in einem starren Methodenkonzept verhaftet sein (2012, S. 99). Dies setzt allerdings zum einen voraus, dass Lehrende in der Lage sind, die Bedürfnisse der einzelnen Lerner und der Lerngruppe insgesamt zu erkennen und zum anderen bedarf es des Wissens um L2-Aneignungsprozesse in einem zweitsprachlichen Erwerbskontext. Des weiteren ist auch die Verfügbarkeit eines Methodenrepertoires, aus dem die jeweils angemessenen Vermittlungsmethoden ausgewählt werden können sehr wichtig. Hier gilt es den SchülerInnen viel Abwechslung beim Lernen zu bieten, da es sich ansonsten negativ auf die Motivation der SchülerInnen auswirkt. Selbst wenn man für sich selbst und die SchülerInnen ein gutes Konzept gefunden hat, ist es unabdingbar den Unterricht kontinuierlich kritisch zu überprüfen und ihn der sich ständig ändernden Bedürfnislage der SchülerInnen anzupassen. In ein paar Worten zusammengefasst verlangt ein Deutsch-als-Zweitsprache-Unterricht von den Lehrenden nicht nur ein hohes Maß an professionellem Wissen und sondern auch Können (2012, S. 102).

 Christina Anna-Maria Grill, Anica Keskic, Lea Sali, Begüm Sanli 

Literaturverzeichnis

  • Guadatiello, Angela, und Schuler, Rebecca. Anregungen zu Deutsch als Zweitsprache im Unterricht: Begrifflichkeiten, Zielsetzung, didaktische und methodische Grundüberlegungen (2018). München: Landeshauptstadt München.
  • Kniffka, Siebert-Ott, und Siebert-Ott, Gesa. Deutsch Als Zweitsprache : Lehren Und Lernen (2012). Web.
  • Oberwimmer, K., Vogtenhuber, S., Lassnigg, L. & Schreiner, C. (Hrsg.). (2018). Nationaler Bildungsbericht Österreich: Das Schulsystem im Spiegel von Daten und Indikatoren. BMBWF.
  • Rechnungshof Österreich (Hrsg.). (2020). Leseförderung an Schulen: Bericht des Rechnungshofes. online unter: https://www.rechnungshof.gv.at/rh/home/home/004.714_Lesefoerderung.pdf.
  • Salchegger, S. & Herzog-Punzenberger, B. (2017). Lesekompetenz und sozioökonomischer Status von Jugendlichen mit Migrationshintergrund: Entwicklungen seit dem Jahr 2000 in Österreich, der Schweiz und Deutschland. Zeitschrift für Bildungsforschung, 7(1), 79–100. 
  • (https://www.iqs.gv.at/themen/nationales-monitoring/mika-d) (22.06.2021, 20:00)
  • https://kontrast.at/deutschfoerderklassen-kritik/ (22.06.2021, 18:00)
  • https://www.oesterreich.gv.at/themen/bildung_und_neue_medien/schule/Seite.110005.html (22.06.2021, 17:00)
  • https://www.oeliug.at/kontakt-antwort/ (22.06.2021, 20:00)

In der Soziologie wird die Institution Schule als eine Einrichtung betrachtet, die zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beiträgt. Die Bildungsinstitutionen übernehmen schulische Sozialisationsprozesse, welche zu einer generationsbedingten Reproduktion der Gesellschaft führen.

Schule fördert nicht nur Eigenschaften, sondern auch Fähigkeiten die gesellschaftlich anerkannt sind. “Somit kommt der Schule als Institution, die Funktion der Normierung zu und der wirtschaftliche Aspekt steht im Mittelpunkt. Die Vermittlung von Wissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten, die für die konkrete Arbeit erforderlich sind, wird als Qualifizierungsfunktion bezeichnet.” (Auer, 2015, S. 55). Diese Funktion des Bildungssystems ist für das Berufs- und Beschäftigungssystem notwendig, um wettbewerbsfähig zu bleiben (vgl. Auer, 2015, S. 53-54).

Die Allokationsfunktion und Selektionsfunktion

Allokationsfunktion und Selektionsfunktion, beide dieser Funktionen beziehen sich auf die Sozialstruktur der Gesellschaft. Vor allem das Bildungssystem trägt dazu bei, junge Menschen auf die berufliche Tätigkeit vorzubereiten. Die berufliche Position ist sehr entscheidend, denn die soziale Position eines Individuums in der Gesellschaft hängt stark von dieser ab. Das Bildungssystem führt Personen je nach der jeweiligen Qualifizierung zu niedrigen oder hohen beruflichen Positionen. Die berufliche Position wiederum wird durch unterschiedliche Schulabschlüsse bestimmt und führt letztendlich zu Macht und Prestige, und damit verbundenen Lebenschancen. Obwohl grundsätzlich verschiedene Bildungswege offenstehen, können Kinder aus unteren sozialen Schichten schwer zu höherer Bildung gelangen (vgl. Auer, 2015, S. 55-56)!

Integrations- und Legitimationsfunktion

Das Schulsystem macht gesellschaftliche Integration möglich. In der Schule werden gezielte Werte, Normen und Weltsichten vermittelt, die zur Stabilisierung des politischen Systems dienen. 

Das Bildungssystem trägt auch einen großen Beitrag zur Friedenssicherung und zum Zusammenhalt der Gesellschaft bei. Schüler und Schülerinnen sollen das Gefühl haben ein wichtiger Teil der Gesellschaft zu sein und sich auch für das Gemeinwohl verantwortlich zu fühlen. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Schule soziale Integration möglich macht.

Eine weitere Funktion des Bildungssystems ist das Verstehen und die Zustimmung des politischen Regelsystems. Schüler und Schülerinnen lernen die Regelungen des Schulsystem und akzeptieren sie. Dadurch werden diese Regelungen als legitim anerkannt und das gesamte System wird gestärkt und verstanden (vgl. Auer, 2015, S. 56).

Meritokratie als schulische Leitkultur

„Meritokratie lat.: meritum, das Verdienst; griech.: kratein, für herrschen“ (Becker & Hadjar, 2009, zitiert nach Auer, 2015, S.57)  beschreibt eine Herrschaftsordnung einer Gesellschaft, in der eine Zuordnung zu einem gesellschaftlichen Status, und die damit verbundenen Vorzüge oder Nachteile, sich nach den Verdiensten der Person richten.

Das Bildungssystem ist ein solches System indem „Ungleichheit [als] funktionalistische Notwendigkeit moderner Gesellschaften“ gesehen wird. Dabei werden durch das meritokratische Leitmotiv, das besser bekannt ist als “Meritokratische Triade” (Becker & Hadjar, 2009, zitiert nach Auer, 2015, S. 58), legitime und illegitime Einflüsse genannt, die diese Ungleichheit verdeutlichen. Es besagt, dass man je nach Ausbildungsgrad eine entsprechende berufliche Stellung und somit auch verschiedene Einkommensklassen rechtfertigt. Jedoch ist dabei wichtig, dass weder die soziale Herkunft noch das Geschlecht, ein legitimer Einfluss für die soziale Ungleichheiten sind. 

Meritokratische Legitimationsprinzip

Die natürliche Fundierung sozialer Ungleichheit begründet Bildungsunterschiede als Resultat von Intelligenz- und Begabungsunterschieden. Außerdem wird versucht den Anteil der Faktoren biologischer und sozialer Voraussetzungen zu eruieren, die sie hervorrufen können. Das Schulsystem kann die individuelle genetische Ausstattung nicht vollends ausgleichen. Trotzdem darf man nicht vergessen, dass Intelligenz und Leistungskategorien soziale Konstrukte sind und zukünftig durchaus andere Denkansätze entstehen könnten.

Die Darstellung von Ungleichheit in österreichischen Schulen, die mit der Hierarchisierung der Berufspositionen und der damit verbundenen sozialen und ökonomischen Anerkennung im Einklang steht, wird als notwendig erachtet. Außerdem wird die Ungleichheit partikularistisch definiert, sodass Ungleichheit als individuelles Problem bestimmt werden kann. Außerdem sind organisierte Bildungsprozesse nötig, um Kompetenzen zur Verfügung zu stellen und diese mit Zertifikaten zu vermitteln, die als Qualifikationsnachweis gelten. Vor allem die persönliche Leistung steht bei Lehrern*Innen für die Leistungsbeurteilung im Vordergrund (vgl. Auer, 2015, S. 59-62).

Literaturverweis

Auer, A. (2015). Selektionsmechanismen im österreichischen Bildungssystem : zur Durchlässigkeit beim Übergang von der Primarstufe zur Sekundarstufe I. JKU, Linz, 52-63. 

Christina Grill, Lea Sali, Anica Keskic