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Arbeit ist das beste Anti-AgingMittel

derStandard, 7. Dezember 2010
BERND MARIN Inaktivitätsatrophie

„Arbeit ist das beste Anti-AgingMittel“, so der Alternsmediziner Christoph Gisinger in Alpbach. Das gilt für Mental Health, seelische Gesundheit bis ins höchste Alter, mehr als für körperliche, wie ich auch von hoch betagten Eltern und Freunden weiß: Mein Vater etwa, am heutigen Tag 91, geht täglich arbeiten (und wirkt daher eher wie Mitte, Ende siebzig). Aber natürlich sieht er die Welt heuer ohne grauen Star bunter und vor allem heller als letztes Jahr mit. Dagegen verblassen ernstere medizinische Indikationen, solange sie Lebensqualität und Lebensweise nicht all zu sehr beeinträchtigen.

Überall dort auf der Welt, wo es Centenare häufig gibt, arbeiten Hundert-jährige regelmäßig auch physisch: Ogimi auf Okinawa, Japan; im Hunzatal in Pakistan; im georgischen Abchasien; in Vilcabamba in Ecuador. Arbeit ist – nach der Liebe – das individuell wirksamste und sozial heilsamste Active-Aging-Präparat. Sinnvolle Arbeit, bezahlter Erwerb oder unbezahltes Ehrenamt, ist stets anregend anstrengend, befriedigend, vorteilhaft für andere und sich selbst, sofern in Maßen, nicht zwanghaft süchtig ausgeübt. Inaktivität hingegen gleicht dem Massenphänomen chronischen medikamenteninduzierten Kopfschmerzes, MIKS, durch übermäßige Schmerzmitteleinnahme.

Ilse Kryspin-Exner spricht von Inaktivitätsatrophie, die unbedingt zu verhindern sei. Sie meint die Hospitalisierung und Heimhaltung hochaltriger, aber selbständig lebensfähiger Menschen in Anstalten, etwa in Folge eines Partnerverlusts. Soziologen kennen die trained incapacity, das angelernte Verlernen von Rezepten und lebenslangen Fähigkeiten. Doch das Konzept von Schwund durch Nicht-Inanspruchnahme und Verfall infolge Unterbeanspruchung ist allgemein gültig, auch für Gesellschaften.

Astronauten erleiden mangels Schwerkraft und Bewegung Muskelschwund, der sie schon nach Rückkehr nach wenigen Wochen im All nicht einmal bis zur nächsten Toilette torkeln lässt. Das letzte Zweitbuch im Jugendalter führt bis zu Jahrzehnten vorzeitiger Verkalkung. Ungenutzte Gaben, Talente und Erlerntes, von Sprachkenntnissen bis zu musikalischer Fingerfertigkeit, verkümmern, mitunter unumkehrbar, je später erlernt, umso rascher. Hausfrauen sterben vor berufstätigen Frauen und länger Arbeitende – sowie „gut“, d. h. alternsbereit Alternde – leben länger, bis über sieben Jahre.

Inaktive Gesellschaften werden unvermeidlich sklerotisch; „altersschwach“ weder durch Alterung, noch durch massenhafte Gebrechlichkeit Hochbetagter, sondern durch die Inaktivitätsatrophie von 21 Millionen Arbeits- und 96 Millionen Erwerbslosen im Erwerbsalter (EU-27). Eine Art selbstinduzierter Gebrechlichkeit durch mangelnde Beanspruchung: Erwerbs-, Produktivitäts-, Innovations- und Wachstumsschwächen. Untätigkeit, eines der fünf sozialen Grundübel bei Beveridge, Erfinder des Wohlfahrtsstaats; hypertrophe, mehrheitliche Versorgungsklassen; eine Erwerbsinvolution und massive Überschuldung privater wie öffentlicher Haushalte, das ist die Euro-Sklerose.

Sofern dabei gleichsam kollektive Zerebralfunktionen berührt sind, wird die Verwechslung von Wohlfühlen mit Wohlstand und Wohlfahrt als irreversibler Niedergang gar nicht mehr erfasst.

Zitat verfügbar unter: http://epaper.derstandarddigital.at/data_ep/STAN/2010/20101207/pagepdf/7DEC77CC-9926-4CB4-94A9-E8D6B5DFA252.pdf [Datum des Zugriffs: 07.12.2010]

Zuerst fördern, dann fordern

 

Zitat aus derStandard: Bei der dritten „Enquete Arbeitsfähigkeit“ (…) im alten Kassensaal der Nationalbank in Wien wurden positive Beispiele und mehr Chancen für Ältere präsentiert. Gudrun Ostermann

Österreich hat eine außerordentlich hohe Lebenserwartung, dennoch sind doppelt so viele Menschen arbeitsunfähig und gehen vorzeitig in Pension als im EU-Schnitt. Hierzulande scheint der Konsens zu herrschen, dass Arbeit krankmacht. Allein im letzten Monat gab es in Österreich mehr als 5000 Anträge für Invaliditätspension. „Dabei kann Arbeit selbst eine Grundlage von Gesundheit sein, wenn sie Werte wie individuelle Entfaltung und Entwicklung, Kooperationen im Team und Anerkennung durch Kollegen und Vorgesetzte bietet“, sagt Irene Kloimüller, Programmleiterin des Projekts „Fit für die Zukunft“, bei der dritten Enquete zur Arbeitsfähigkeit.

Mehr Lebensqualität

Langzeitstudien in Finnland haben gezeigt, dass die Arbeitsfähigkeit vor dem Pensionsantritt auch entscheidend für die Qualität nach dem Erwerbsleben ist. Die Erhaltung der Arbeitsfähigkeit hat somit nicht nur einen positiven Effekt auf die Produktivität, sondern auch auf die Pension.

Mit äußerer Überzeugung, aber innerer Skepsis habe man damals dieses Projekt des ÖPWZ (Österreichischen Produktivitäts- und Wirtschaftlichkeitszentrum) unterstützt, gibt Winfried Pinggera, Generaldirektor der Pensionsversicherungsanstalt (PVA), die gemeinsam mit der Allgemeinen Unfallversicherung (Auva) Träger des Projektes ist, zu. Den Stein der Weisen habe man zwar nicht gefunden, aber „wir wissen jetzt, wo wir ansetzen müssen, wenn wir die Arbeitsfähigkeit auch im Alter erhalten möchten. Pinggera spricht von einer Zeitenwende: „Das bisherige Lippenbekenntnis ‚Der Mitarbeiter ist das Kapital des Unternehmens‘ ist in Zeiten der demografischen Veränderungen Realität geworden.“

Die Tatsache, dass wir länger arbeiten müssen, bedeute nicht, dass wir das auch können, wollen und dürfen, hält Juhani Ilmarinen bei seinem Vortrag fest. Der Leiter von Juhani Ilmarinen Consulting mit 35-jähriger Forschungs- und Entwicklungstätigkeit am Finnish Institute of Occupational Health (FIOH) in Helsinki, strich einmal mehr hervor, dass es der falsche Weg sei, zuerst längeres Erwerbsleben zu fordern und dann dieses erst zu fördern. Dennoch sei Österreich auf operativer Ebene bei der Erhaltung der Arbeitsfähigkeit gut unterwegs. Im europäischen Vergleich sind Österreich und Deutschland, die beiden Länder, die in den Beratungs-, Trainings- und Coachingbereichen an oberster Stelle stehen. „Ich sage aber nicht, dass es hier optimal ist. Besonders die Beratung könnte ausgebaut werden“, ergänzt er.

Um die Arbeitsfähigkeit und auch die Produktivität mit zunehmende Alter zu erhalten, müsse in jeder Lebensphase eine Balance der Faktoren Gesundheit, Qualifikation, Werte sowie Arbeit und Führung vorhanden sein, erklärt Ilmarinen. Die einzelnen Faktoren wirken aufeinander und werden durch Familie und Freunde, gesellschaftliches Umfeld sowie politische Rahmenbedingungen beeinflusst. Produktivität sei demnach nicht vom Alter abhängig, sondern von der Organisation der Tätigkeit. Langzeitstudien zeigten, dass bei einem Drittel der Arbeitnehmer im Alter das notwendige Gleichgewicht aber verlorengeht.

Ansatzpunkte zur Erhaltung der Arbeitsfähigkeit gebe es genug. So sollten sich beispielsweise auch die Tätigkeitsbeschreibungen mit dem Alter ändern, ergänzt Ilmarinen. Gleichbehandlungen der Generationen seien keine Lösung. „Wir müssen nach Altersgruppen individualisieren. Doch nur wenige Unternehmen haben bisher den Mut gehabt, das auch zu formulieren“, so seine Erfahrung.

Aber auch die Forschung müsse auf universitärer Ebene angehoben werden. „Dafür braucht es Master,- Pre- und Postdoc-Programme“, ergänzt er. Auch ein Lehrstuhl für Occupational Gerontology müsse eingerichtet werden, um die Zusammenarbeit von Forschung, Politik und Unternehmen weiter zu verbessern „Wir können die Arbeit neu strukturieren, denn wir haben auch die Arbeitswelt in ihrer jetzigen Form gestaltet“, ermutigt Ilmarin die Teilnehmer. (…)

Zitat verfügbar unter: http://epaper.derstandarddigital.at/data_ep/STAN/2010/20101204/pagepdf/3C49CDF8-475E-4AB2-8735-6E8658F3837C.pdf / derStandard, 4./5. Dezember 2010, S. K1 [Datum des Zugriffs: 4. Dezember 2010]

Hundert Jahre lang leben

Zitat verfügbar unter: http://www.forumgesundheit.at/portal/index.html [15.10.09]

100 Jahre lang leben

100 Jahre lang leben Immer mehr Menschen werden 100 Jahre alt. Selbst 110, 120 Jahre alt zu werden, ist bei wachsenden hygienischen und medizinischen Standards kein unerreichbares Ziel mehr. Aus naturwissenschaftlicher Sicht stellt sich die Frage, ob es eine Höchstdauer gibt, ein absolutes Alterslimit, oder ob wir eines Tages als Konsequenz biomedizinischer Entwicklungen auch viel älter werden können.

Im römischen Imperium ist der Mensch im Schnitt 22 Jahre alt geworden, im Mittelalter 33 und zu Beginn des 19. Jahrhunderts 49 Jahre. Heute wird der Mensch im Durchschnitt 70 bis 80 Jahre alt. „Ein heute in Mitteleuropa geborenes Baby hat eine 50 zu 50 Chance, 100 Jahre alt zu werden“, sagt Markus Hengstschläger, Universitätsprofessor für Medizinische Genetik an der Medizinischen Universität Wien.

Dieser rasante Anstieg an Lebensjahren wirft die Frage auf, ob es ein Höchstmaß an möglicher Lebenszeit überhaupt gibt. „Ein solcher Rahmen, wonach der Mensch nur eine bestimmte Anzahl an Lebensjahren erreichen kann, existiert meiner Meinung nach nicht. Der Mensch von morgen wird noch länger leben als der Mensch von heute. Auch wenn es immer schwieriger werden dürfte, die maximale Lebenszeit immer weiter auszudehnen“, sagt Hengstschläger.

Alterskrankheiten als logische Folge

Altern ist mit einer ansteigenden Wahrscheinlichkeit für das Auftreten typischer Krankheiten und damit mit dem Sterberisiko verbunden. Zwischen dem 40. und 70. Lebensjahr dominieren Krebserkrankungen als häufigste Todesursachen, ab dem 70. Lebensjahr Herz-Kreislauf-Krankheiten. Und da diese Krankheiten ebenso wie die Demenzkrankeiten typische Alterskrankheiten sind, ist ihre Zahl angesichts einer immer höheren Lebenserwartung stetig im Steigen.

Länger jung oder länger alt

Es stellt sich die Frage, ob wir heute langsamer altern und damit länger jung bleiben oder ob wir lediglich im Alter länger am Leben bleiben. „Beides ist der Fall. Die moderne Medizin verlangsamt die Alterung und damit die Anfälligkeit für Krankheiten. Man wird also langsamer alt. Andererseits wird man auch länger alt sein, es kommen quasi ein paar Jahre gegen Lebensende noch dazu“, so Hengstschläger. Hauptziel sei es, länger jung zu bleiben, anstatt gleich schnell zu altern.

Endlich oder unendlich?

Eine Reihe neuer Ansätze in der Humanmedizin wird künftig zu einem gesünderen und daher auch längeren Leben des Menschen beitragen: Stammzellentherapien, Transplantationsmedizin, Herstellung ganzer Organe im Labor, Gendiagnostik, Gentherapie, künstliche Implantate und Nanotechnologie. Manche Genforscher haben bereits viel weiterreichende Visionen. Sie träumen von einem unendlichen Leben, in dem alle Alterungsprozesse des Körpers gebremst werden können.

Hengstschläger glaubt zwar nicht, dass alles, was derzeit gedacht wird, auch machbar ist. Er geht aber davon aus, dass die Forschung noch in den Kinderschuhen steckt und in Zukunft vieles möglich sein wird, das heute noch nicht einmal angedacht wird. Der Meinung der so genannten Immortalisten, die meinen, dass der Mensch in Zukunft gar unendlich leben wird, schließt sich der Genetiker nicht an: „Der Mensch ist einfach zu komplex, als dass man alle Eventualitäten berücksichtigen könnte, die letztendlich zum Tod führen können.“

Der eigene Beitrag entscheidet

In Einem aber sind sich alle Experten einig: Lebensverlängerung funktioniert nur, wenn der Einzelne entscheidend dazu beiträgt. Schon heute könne jeder Mensch bis zu 14 Jahre Leben „herausholen“, indem er die längst bekannten Ratschläge wie nicht rauchen, wenig trinken, moderat bewegen, ausreichend schlafen und gesund ernähren befolgt. „Gesund ernähren, aber nicht hungern“, sagt Hengstschläger zur Diskussion, ob eine Kalorienreduktion das Leben des Menschen verlängern könnte. Bei Versuchen mit Mäusen gelang eine Steigerung von 50 Prozent an Lebenszeit bei einer Kalorienreduktion von 20 Prozent. Ob sich eine Kalorienreduktion auch beim Menschen lebensverlängernd auswirken würde, sei noch nicht bewiesen. „Klar ist aber, dass Fettleibigkeit die Lebenserwartung reduziert“, sagt Hengstschläger.

Ein weiterer oft diskutierter Punkt ist, ob Rotwein eine lebensverlängernde Wirkung hat. „In Maßen genossen, ja“, meint Hengstschläger. Aber die im Rotwein enthaltenen antioxidativen Wirkstoffe sind ebenso in Karotten, Brokkoli, Fisch oder grünem Tee enthalten. Man sei also nicht auf Rotwein angewiesen. Unstrittig ist die positive Wirkung moderater Bewegung. Sie bekämpft die schädlichen freien Radikale in den Zellen des Körpers. „Bewegung bietet einen erhöhten Schutz gegen Krebserkrankungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen“, sagt Hengstschläger.

In seinem neuen Buch „Endlich unendlich“ berichtet der Humangenetiker auch von der Wichtigkeit des richtigen Schlafrhythmus. Man solle nicht ignorieren, ob man ein Morgen- oder Abendmensch ist. Erste Forschungen deuten nämlich darauf hin, dass ein falscher Schlafrhythmus zellulären Stress entstehen lässt. Das führt zur Entstehung von freien Radikalen und das lässt uns schneller altern.

Altern als zellulärer Prozess

Der menschliche Körper besteht aus unzähligen Zellen. Sie leben unterschiedlich lange und werden beim Absterben durch neue Zellen ersetzt. Die meisten Zellen können sich aber nur begrenzt teilen. Mit fortschreitendem Lebensalter funktioniert die Regeneration und Instandhaltung des Körpers immer schlechter, Zellen sterben ab, ohne ersetzt zu werden oder sie mutieren und lösen Krankheiten aus.

Je älter man wird, umso schlechter funktioniert auch die Regeneration körperlicher Defekte. Forscher stellen sich die Frage: Wo setzt man in Zukunft an? Wartet man, bis Organe defekt sind und versucht man – wie heute üblich – diese im Krankheitsfall zu behandeln? Oder beginnt man nicht schon viel früher und achtet darauf, so lange wie möglich den Körper eines 30-Jährigen aufrechtzuerhalten. „Darauf kommt es letztlich an. Dann habe ich zum Beispiel ein wirklich wirksames Mittel gegen ein im Alter höheres Krebsrisiko“, sagt Hengstschläger. Ein Beispiel wie Medizin von Morgen aussehen könnte: „Organe austauschen, bevor sie geschädigt sind, um Altersschäden vorzubeugen“, wirft Hengstschläger einen Blick in die Zukunft.

Dr. Thomas Hartl

100 Jahre lang leben