Archiv für März 2012
Personalmanagement im Krankenhaus
Personalmanagement im Krankenhaus: Mitarbeiterorientierung ist Chefsache
Der Fachkräftemangel gefährdet die Mitarbeitersubstanz der Krankenhäuser. Ein nachhaltiges Personalmanagement, das auf Mitarbeitergesundheit, -motivation sowie Aus- und Weiterbildungsqualität setzt, ist aber immer noch die Ausnahme.
Das Thema Mitarbeiterattraktivität von Krankenhäusern ist längst nicht mehr nur ein ethisches Thema für Personaler, Gewerkschafter oder Gutmenschen, sondern ein wirtschaftliches Thema, von dem das Überleben des Hauses langfristig abhängt. Gemäß dem Prinzip, dass man auch bei großem Hunger nicht alle Saatkartoffeln verzehren darf, wenn im nächsten Jahr wieder geerntet werden soll, müssen Krankenhäuser deshalb ihren Fokus auf Effizienz und Innovation erweitern und auf den langfristigen Erhalt ihrer wichtigsten Ressource lenken: Es geht um Mitarbeitergesundheit, -motivation, Aus- und Weiterbildungsqualität. Eine kurzfristige maximale „Ausnutzung“ der aktuellen Fachkräfte und ein gutes Bewerberauswahlverfahren ist nicht mehr ausreichend, um den Personalbestand eines Krankenhauses langfristig zu sichern.
In einer Forschungsarbeit am Lehrstuhl für nachhaltiges Management an der Bremer Universität untersuchten die Autorin und Andrea Hahn empirisch, wie Krankenhäuser das Thema „Nachhaltigkeit im Personalmanagement“ in der Praxis umsetzen. Dabei war das Spannungsverhältnis von Effizienz- und Substanzorientierung ein Fokus. Gemeint ist der ökonomisch optimierte Einsatz von Fachkräften einerseits und der Erhalt von Qualität, Motivation, Gesundheit plus der zahlenmäßige Erhalt der Ärzte und Pflegekräfte andererseits.
Personal wird verwaltet
Experten des Krankenhauswesens wurden anhand von teilstrukturierten Leitfadeninterviews befragt und die Aussagen mittels eines analytisch interpretativen Verfahrens ausgewertet. Die Arbeit mündet in Handlungsanweisungen für das Krankenhausmanagement.
In den Krankenhäusern ist die Personalverantwortung in der Regel einem zentralen Bereich, dem Personalwesen, zugeordnet, das häufig noch in einer starren, hierarchisch orientierten Verwaltung von Personal vorwiegend administrative Aufgaben erfüllt. Strategische Zielorientierung, die über die vier bis fünf Jahre der Geschäftsführerverträge hinausgeht, und Personalentwicklungsabteilungen, in denen Kernelemente des betrieblichen Gesundheitsmanagements integriert sind, gibt es kaum. Dabei sind individualisierte und flexible Anstellungsverträge und Arbeitszeiten notwendig, um hochqualifizierte Mitarbeiter zu gewinnen und halten zu können. Auch flache Hierarchien, niederschwellige Rückmeldestrukturen seitens der Mitarbeiter und interdisziplinäre Kooperationsformen wie Fallbesprechungen, die dem gesellschaftlichen Wertewandel Rechnung tragen, sind rar.
In den meisten Krankenhäusern findet sich auf allen Ebenen die Einstellung „Patientengesundheit geht vor Mitarbeitergesundheit“. Dabei gibt es beim Einzelnen eine hohe Bereitschaft, eigene zeitliche, kräftemäßige, gesundheitliche und familiäre Grenzen zu überschreiten. Diese Diskrepanz in der Einstellung gegenüber der Gesundheit von Mitarbeitern und der von Patienten zeigt, dass das Berufsethos „Patientenwohl“ oft als Wirtschaftsfaktor verstanden wird, aus dem sich Wettbewerbsvorteile ergeben, es aber keine Grundeinstellung ist, die Gesundheit des Menschen an sich zu fördern. Die langfristige Gesundheit der Mitarbeiter sollte aber angestrebt werden. Dazu gehören die Individualisierung von Arbeitsplatzbedingungen, das Schaffen von Reflexionsräumen zur inneren Standortbestimmung (Supervisionen, Fallbesprechungen) oder auch Formen der schrittweisen Wiedereingliederungen von Mitarbeitern, die etwa nach einem Burn-out an den Arbeitsplatz zurückkehren. Auch die Förderung gesunder Lebensbedingungen durch Zusammenarbeit mit Fitnessstudios, verpflichtende betriebsärztliche Routineuntersuchungen für Mitarbeiter, vernetzt mit niederschwelligen Beratungsangeboten durch Externe in den Bereichen Partnerschaft, Erziehung, Sucht, Burn-out, Lebenshilfe sowie eine freundliche, transparente und kooperative Unternehmenskultur können Teil einer umfassenden Gesundheitsförderung sein.
Nur das Patientenwohl zählt
Nicht nur die Gesundheit von Mitarbeitern, sondern auch die des ganzen Hauses wird oftmals durch finanziell kurzfristige Entscheidungen gefährdet, indem Ressourcenverbrauch und Ressourcennachschub nicht so gesteuert werden, dass die Basis langfristig ausgewogen und damit die Substanz erhalten bleibt. Es findet auch nur selten eine strategische und systematische Analyse der Pflegeschulabsolventen und Medizinstudierenden nach Zahl, Laufbahn, Motivation und Ausbildungsqualität statt. Und es gibt auch nur sporadische Investitionen in Bildungseinrichtungen.
Die permanent präsente, naive Idealisierung, dass Effizienz und Substanzerhalt gleichzeitig möglich seien, führt in vielen Krankenhäusern dazu, dass über einen strategischen, systematischen Umgang mit diesen Spannungsfeldern nicht nachgedacht wird. Führungskräfte können sich der Auseinandersetzung mit kritischen Fragestellungen entledigen, indem sie das Problem an die nächst untergeordnete Führungsebene abschieben. Beispiel: „Liebe Stationsleitung, achten Sie bitte darauf, dass die Pflegekräfte keine Überstunden machen. Außerdem muss der OP-Plan durchgezogen werden. Als Führungskraft erwarten wir von Ihnen, dass Sie das hinbekommen!“ Durch solches Delegieren landet in der Praxis die Hauptbelastung oft beim mittleren oder unteren Management. Häufig entstehen konfliktreiche Situationen, in denen das strukturelle Phänomen des Konflikts übersehen und der Konflikt auf persönlicher Ebene ausgetragen wird.
In den meisten Krankenhäusern ist das Drängende so präsent, dass nicht nach Strategie und langfristigem Überleben gefragt wird. Immer wieder gibt es zum Beispiel Probleme, wenn ein Mitarbeiter oder eine Führungskraft sich gegen eine effiziente Vorgehensweise und zugunsten substanzorientierter Prämissen entscheidet. Solche Entscheidungsspielräume müssten eigentlich jeweils für die nachfolgende Hierarchieebene durch die Führungskraft aufgezeigt und damit legitimiert werden. Im Idealfall weiß die Stationsleitung, dass sie heute die erschöpfte ältere Mitarbeiterin pünktlich nach Hause schicken darf und dass es o. k. ist. Und der ärztliche Direktor sollte sich sicher sein, dass es in Ordnung ist, wenn er einen besonders qualifizierten Oberarzt einstellt, der nur eine bestimmte Stundenzahl zu arbeiten bereit ist. In den meisten Krankenhäusern gibt es einen solchen Spielraum jedoch nicht. Auch müsste geregelt sein, mit welchen Tauschmöglichkeiten Sonderkonditionen von Mitarbeitern begegnet werden kann, damit diese nicht im freien Spiel der Kräfte auf den Abteilungen ausgetragen werden. Ein Beispiel: In gut geführten Häusern sind Mitarbeiter über 60 Jahre vom Nachtdienst befreit. Dafür haben Mitarbeiter mit schulpflichtigen Kindern Vorfahrt bei der Urlaubsplanung in den Schulferien und bei den großen kirchlichen Feiertagen. Diese Tauschoptionen sollten transparent im Haus kommuniziert werden.
Mehr Spielräume eröffnen
Führungskräfte müssen auch in der Wahrnehmung der substanzorientierten Nachhaltigkeit und dem Umgang mit den Spannungsfeldern geschult und begleitet werden. Bei subjektiv empfundener hoher Belastung muss es möglich sein, dass zumindest die Führungskräfte Unterstützung finden – durch bedarfsorientiertes, freiwilliges, externes und hoch professionelles Coaching. Anders als in anderen Branchen spielt dieser Ansatz im Krankenhauswesen (noch) keine Rolle.
Dabei müsste substanzorientierte Nachhaltigkeit über die obere Führungsebene der Einrichtungen eingeführt und integriert werden. Bei ihnen liegt der Schlüssel, den nachfolgenden Mitarbeitern die Wahrnehmung der Unvereinbarkeit der Spannungen und den Spielraum für den Umgang damit zu eröffnen und ihnen dafür Begleitung anzubieten. Sie müssen nicht die alltäglichen Entscheidungsoptionen der Abteilungen aufzeigen. Dies kann besser in den jeweiligen Professionen, Ebenen und Abteilungen alltagsspezifisch erarbeitet werden. Aber den Rahmen vorzugeben, innerhalb von dem substanzorientierte Entscheidungen getroffen werden dürfen, liegt in Führungsverantwortung. Dort, wo Mitarbeiter sich ausschließlich selbst schützen müssen, ihr gelegentliches Nein gegenüber stets drängenden Alltagserfordernissen aus Selbsttreue, aus Verantwortung gegenüber anderen Autoritäten ihres Lebens oder übergeordneten Werten (etwa der Berufsethik) ableiten müssen, bedeutet dies für das Krankenhaus immer das Risiko des Mitarbeiterverlustes.
Birgit Bergmann